Vincent Redetzki im Interview
Online-Theater als Zukunftsmodell?
Da aktuell alle Theater geschlossen sind, haben die Kammerspiele die virtuelle Kammer 4 ins Leben gerufen, wo sie neben normalen Filmaufnahmen von Stücken auch Live-Cam-Performances zeigen. Der Schauspieler Vincent Redetzki hat das Stück „Werther’s Quest for Love“, das letztes Jahr im April zu sehen war, noch einmal gespielt. Diesmal von zu Hause und live vor der Webcam. Mit M94.5 hat er über diese Erfahrung gesprochen.
Vincent, du bist in der Live-Cam-Performance von „Werther‘s Quest for Love“ ‚aufgetreten‘. Wie war die Erfahrung für dich allein live von zuhause aus zu spielen?
Das war gar nicht so wahnsinnig anders als die Erfahrung in dem Kasten damals in der Zschokkestraße, weil ich da das Publikum ja auch eigentlich kaum gesehen habe beziehungsweise es auch nicht wirklich wahrnehmen sollte, weil es ja Teil der Performance war, dass Werther sich in seinem Zimmer eingeschlossen hat, um sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Und das ist jetzt natürlich in der eigenen Wohnung in den eigenen vier Wänden nochmal auf die Spitze getrieben worden. Was aber im Livestream schon anders war: man hat die Zuschauer überhaupt nicht gespürt. Es war schon verrückt, dass man überhaupt keine Reaktion bekommt, auf das, was man macht. Man muss sich auch selbst ein bisschen durch das Stück durchpeitschen. Du hast eben außer dem Wissen, dass Menschen auf einer Internetseite zugucken und diesem grünen Aufnahme-Punkt an der Webcam, keine so richtige Motivation. Es war dann tatsächlich nicht ganz so schwer, sich zu motivieren, aber der Gedanke war irgendwie abstrakter, als das bei einer Bühnensituation der Fall ist.
Das Verhältnis zur Zuschauer*in ändert sich tatsächlich. Als Zuschauer*in nimmt man deine Performance sehr nah und intensiv wahr, du schaust direkt in die Kamera und man fühlt sich, als würdest du einem direkt in die Augen schauen. Für dich ist da aber nur eine Kameralinse und alles ist viel distanzierter. Wie hast du dich denn darauf vorbereitet von zuhause aus zu spielen?
Wir hatten relativ viele Proben über Zoom mit dem Regisseur Jonny-Bix Bongers und unserem Team. Ich habe dann, zum Beispiel, meinen Laptop aufgestellt und dann hat Janina, unsere Bühnenbildnerin, gesagt: hol mal den Laptop ein bisschen mehr zu dir, damit das klaustrophobischer wirkt oder der Bildausschnitt griffiger ist. Und so war das auch mit Jonny. Das habe ich nicht alles selbst gemacht, im Gegenteil, das war wieder eine Gemeinschaftsarbeit. Das Proben war aber auch anstrengend, weil man niemanden im Raum hatte und ständig auf diese elektronischen Stimmen hören musste. Da war ich dann nach drei Stunden proben ziemlich platt. Das ist einfach etwas Anderes als von Angesicht zu Angesicht, wo du mit Menschen in einem Raum bist, auch zusammen Pause machen kannst, einen Tee trinkst und danach noch ein bisschen zusammensitzt. So haben jetzt alle einfach ihren Laptop zugeklappt.
Das Stück endet auch ziemlich abrupt, man sieht dein Gesicht im Close-up wie es langsam verblasst und dann hat man einen schwarzen Bildschirm vor sich. Das empfand ich als ziemlich brutal, auch weil man gar nicht klatschen und Feedback geben konnte, außer vielleicht mit einem Klatsch-Emoji über Facebook. Wie war das für dich?
Wir haben uns danach dann wieder virtuell getroffen und virtuell angestoßen, jeder für sich. Das war schon ungewohnt und fühlte sich auch ein bisschen schade an. Aber Matthias Lilienthal hat dann auch angerufen und kurz gratuliert und unser leitender Dramaturg Tarun Kade hat angerufen und das war total schön. Da gibt es auf jeden Fall den Zusammenhalt im Theater, dass man sich da gegenseitig unterstützt, das ist schon klasse.
War es denn komisch für dich, jetzt deinen privaten Raum einer Öffentlichkeit zu zeigen? Oder war das ok, weil ihr das Zimmer sowieso für das Stück angepasst habt?
Das war für mich schon in Ordnung. Ich glaube aber das hat damit zu tun, dass wir uns ein Setting gebaut haben. Jetzt einfach so in meinem Zimmer zu sein, so wie es ist und da alles durch zu spielen.. da weiß ich nicht, ob ich da so d’accord mit gewesen wäre. Aber dadurch, dass wir uns so etwas wie ein Bühnenbild gebaut haben, und es ja auch eine Figur ist, die in diesem Setting agiert, hat das für mich voll funktioniert.
In „Werther’s Quest for Love“ geht es um Einsamkeit, um Isolation, die Wertherfigur sitzt allein zuhause und schlägt die Zeit tot, alles also sehr passend zu aktuellen Situation. Hat sich deine Sicht auf das Stück dadurch auch nochmal geändert?
Einen Gedanken, den wir umsetzen wollten, war, dass es gerade wichtigere Probleme gibt, um die man sich kümmern sollte, als das Gefühlschaos von dieser Wertherfigur oder auch von der Figur, die da vor der Kamera sitzt. Und ich glaube durch dieses isoliert Sein und dadurch, dass gerade alle Menschen so isoliert sind, hat man vielleicht die Chance, sich mit sich und seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Das haben wir gehofft, über diese Geschichte zu erzählen.
Glaubst du denn, dass das ein neues, festes Format für das Theater werden könnte? Mit „Yung Faust“ haben die Kammerspiele ja zum ersten Mal eine Live-Cam-Performance ausprobiert, deine war der zweite Versuch. Oder ist das gerade einfach ein behelfsmäßiges Mittel?
Das ist eine gute Frage. Ich fand es schon aufregend, wie unterschiedlich die Schauspieler*innen bei „Yung Faust“ mit der Technik umgegangen sind. Was ich aber wirklich unglaublich fand, war, wie gut dann doch das Zusammenspiel funktioniert hat. Dass die an unterschiedlichen Orten sind, in eine Kamera sprechen und trotzdem aufeinander reagieren, das fand ich ganz toll und da habe ich das Gefühl, dass da noch richtig viel Potenzial da ist. Auch weil man so nah an den Leuten dran ist und jede Gefühlsregung im Gesicht sieht. Das ist schon eine tolle Chance, durch die Kamera so nah an den Leuten dran zu sein, die man sonst auf der Bühne teilweise nur aus weiter Entfernung sieht.
Theater online öffnet also auch ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven, trotzdem fehlt mir persönlich das Live-Theater schon sehr. Was würdest du sagen, hat Theater, was online einfach nicht ersetzt werden kann?
Das ganze Drumherum ist es einfach. Diese Rituelle, was Theater hat. Der Raum, wo sich Menschen versammeln, um an einem Ritual teilzuhaben. Die Verabredung, zum Beispiel, dass alle ruhig werden, wenn das Licht ausgeht und dann was losgeht, wo man zuschaut oder auch eingebunden wird. Dass man sich auf eine Bühnensituation einlässt. Dass man auch Körper direkt vor sich hat und mir auch etwas durch den Körper erzählt wird. Das kann die Webcam oder der Stream definitiv nicht so intensiv herstellen.
Das Interview führte Janina Rohleder.