Filmfest 2024
Woman Of…
Aniela wird in den 1970er Jahren in Polen geboren. Teil ihrer Generation zu sein ist oft nicht einfach. Als junge Erwachsene erlebt sie, wie der Ostblock zusammenbricht. Es ist lange schwierig, Wohnraum und Arbeit zu finden. Was diese Probleme in Anielas Fall aber um ein Vielfaches verstärkt: Sie wird ursprünglich als Andrzej geboren.
Andrzej ist clever, finden seine Freunde in der Kneipe. Er hat sich die Zehennägel lackiert, was dazu geführt hat, dass er für den Wehrdienst ausgemustert wurde. Er ist auch lustig: Wenn er in der Arbeit das Telefon abnimmt, stellt er sich als Frau vor und redet mit einer weiblichen Stimme. Das bringt alle Kolleg:innen zum Lachen. Sie kommen nicht auf die Idee, dass diese “Späße” die Momente sind, in denen schon in jungen Jahren Aniela, wie Andrzej später heißen wird, zum Ausdruck kommt. Aniela lebt nämlich einen großen Teil ihres Lebens als Andrzej. Sie heiratet, gründet eine Familie und versucht es jahrelang, sich an die Geschlechternormen der Gesellschaft anzupassen. Als sie die Fassade irgendwann nicht mehr aufrecht erhalten kann und sich als Trans outet, stößt sie in ihrem Umfeld auf großes Unverständnis.
Queeres Kino aus Polen
“Woman of…” ist der zweite Film, bei dem Małgorzata Szumowska und Michał Englert gemeinsam Regie geführt haben. Im September feierte er bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Hier wurde er für den Goldenen Löwen und den Queer Lion nominiert. Für Małgorzata Szumowska ist es nicht das erste Mal, dass sie in ihren Filmen queere Themen im Kontext ihres Heimatlandes bearbeitet. Beide Regisseur:innen betonen, dass der Film in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der LGBTQIA+ Szene Polens entstanden ist und auf ihren Erfahrungen und Lebensgeschichten basiert. Auch im Cast sind queere Darsteller:innen vertreten, und Anielas Darstellerin Małgorzata Hajewska ist selbst Transfrau. Das Regieteam plädiert für mehr Toleranz und Gesetzesänderungen, die Transmenschen in Polen ein gefahrenfreieres Leben ermöglichen sollen.
Eine Familiengeschichte
Die Handlung von “Woman of…” erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und erzählt nicht nur von Anielas Leben, sondern auch von ihrer Familie. Vor allem Anielas Frau Iza tritt hier als vielseitiger und komplexer Charakter auf. Die Hauptdarstellerinnen Małgorzata Hajewska und Joanna Kulig erschaffen eine facettenreiche Beziehung zwischen den beiden Frauen, die sich über die Jahre hinweg sehr unterschiedlich gegenüber stehen. Die Familiengeschichte ist auch ein wichtiger Handlungsstrang, weil sie zwar manchmal schwierig ist, aber auch für die meisten Lichtblicke im Film sorgt.
Gender und Katholizismus
Der Film betrachtet Gender auch im Kontext der Religion. Die katholische Prägung ihres Umfelds ist zwar oft ein Grund für die Diskriminierung, die Aniela erfährt – ganz so einfach ist es aber auch nicht. So findet sie zum Beispiel unerwartete Weggefährtinnen unter einer Gruppe Nonnen, die ihr Unterkunft geben, als es sonst keiner tut. Der Film hat auch einen Blick für die komplexe Genderikonografie des Katholizismus: In einer Szene entdeckt Anielas kleine Tochter auf einem Spaziergang eine Statue einer Märtyrerin mit einem Bart. Als sie davon verwirrt ist erklärt Aniela, dass es sich hier um die heilige Wilgefortis handelt, die sich vor einer Zwangsehe mit einem Heiden wehren konnte, indem Gott ihr einen Bart wachsen ließ. Gekreuzigt wurde sie allerdings trotzdem.
Werden sie dich auch kreuzigen?
Anielas Tochter zu Aniela
Ruhig aber mächtig
In seiner Erzählweise und Ästhetik bleibt “Woman of…” klar und unprätenziös, der Hauptfokus liegt eindeutig auf der Handlung. Das nimmt dem Film aber nichts, da er diese Geschichte sehr schön erzählt, und deswegen trotzdem sehr sehenswert ist. Gerade in seiner Ausgewogenheit liegt nämlich seine größte Stärke: Szumowska und Englert haben es nämlich geschafft, Sozialkritik ohne Traumaporn und Hoffnung ohne Kitsch zu schaffen.
“Woman Of…” läuft zweimal auf dem Filmfest München:
- Am 01. Juli um 20:00 im Amerikahaus
- Am 02. Juli um 18:00 im HFF Audimax