Kommentar
Den Lehrkräftemangel bekämpfen – Weg mit dem Staatsexamen!
Deutschland erwartet einen Lehrkräftemangel, wie wir ihn noch nie erlebt haben. In zehn Jahren fehlen uns vermutlich 85.000 Lehrkräfte. Das hat der Verband Bildung und Erziehung vergangenen Sommer errechnet. Als mögliche Lösung hat der Philologenverband jetzt gefordert überall in Deutschland das Staatsexamen wieder einzuführen. Absolvent:innen würden sich dann eher fürs Lehramt entscheiden, anstatt nach dem Studium in alternative Jobs zu gehen. Das Beispiel Bayern zeigt aber: Das Staatsexamen schreckt mehr ab, als es motiviert, wie Phillip Reinhardt findet. Ein Kommentar.
40 Prozent der Lehramtsstudierenden in Bayern kommen nie in einem Klassenzimmer an. Darauf kommt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (kurz: BLLV) durch eine Auswertung der Daten vom bayerischen Landesamt für Statistik. Die bayerische Staatsregierung hingegen schätzt die Abbruchquote durch bundesweites Daten etwa halb so groß ein. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Einen Lehrer:innenmangel bekämpfen wir mit einer Diskussion über Statistiken jedenfalls nicht. Viel wichtiger ist es eine der Ursachen zu bekämpfen: Das veraltete Staatsexamen.
Zu viel Stoff in zu kurzer Zeit
Die Probleme beginnen schon vor der eigentlichen Prüfung. Studierende für das Gymnasium beispielsweise müssen in ihren zwei Fächern jeweils 105 ECTS erzielen. Dazu kommt das Erziehungswissenschaftliche Studium mit weiteren 36 ECTS, eine ewig lange Zulassungsarbeit und die intensive Vorbereitung für das Staatsexamen. Ohne eine Überbelegung von Modulen ist das in der Regelstudienzeit kaum machbar. Das Lehramtsstudium ist dadurch ein Vollzeitjob mit regelmäßigen Überstunden.
Studium und Staatsexamen – zwei verschiedene Inhalte
Aber das scheint dem Freistaat Bayern noch nicht genug Stress für seine wenigen zukünftigen Lehrer:innen zu sein. Denn das Erlernte aus dem Studium nutzt den Prüflingen im Staatsexamen kaum etwas. Während sich Studierende beispielsweise in einem Modul zur Frühen Neuzeit intensiv mit Bayern im Jahr 1700 auseinandersetzen – frägt das Staatsexamen später nach dem 30-jährigen Krieg und der Französischen Revolution. Das ist zentraler Stoff, den Studierende kurz vor dem Examen meistens im Selbststudium erwerben müssen. Das detaillierte Wissen aus dem Studium hingegen fällt bei der Prüfung hinten runter.
Bayerns vermeintliches “Qualitätssigel”
Die bayerische Regierung verteidigt ihr 1. Staatsexamen mit dem Argument der “Qualitätssicherung und Vergleichbarkeit”. Für sie sei die Staatsprüfung ein Qualitätssigel für eine gute Lehrkraft. Nur entspricht diese “Qualität” leider nicht der Qualifikation, die es wirklich braucht, um erfolgreich vor einer Klasse zu stehen. Die Studierenden müssen Skizzen blind zeichnen, Namen von Autor:innen aufzählen und kleine Hausarbeiten aus dem Stegreif schreiben. Wer viel Zeit investiert und viel auswendig lernt bekommt dann gute Noten. Wer jedoch versucht das Konzept hinter den Skizzen oder den Theorien wirklich zu verstehen, bringt es wahrscheinlich zu einer guten Lehrkraft – scheitert aber vorher am vermeintlichen “Qualitätssiegel”. Darunter leiden am Ende alle: Die Studierenden, sowie ihre zukünftigen Schülerinnen und Schüler.