Filmfest 2019

Vita and Virginia

/ / Bild: Filmfest München

Diese sinnliche Literaturhistorie knüpft an Diskurse über weibliche Unabhängigkeit, Homosexualität, Écriture féminine und LGBTQ+ an. Eine echte Entdeckung auf dem Filmfest München.

Die Institution der Ehe ist wie eine Pflanze, die man hegen und pflegen muss. Doch Männer neigen dazu, sich selbst als Pflanze und die Frau als Boden zu betrachten. Unabhängigkeit kennt kein Geschlecht! So formulieren es Vita Sackville-West (Gemma Arterton) und ihr Mann, der Diplomat Harold Nicolson (Rupert Penry-Jones), in einem Interview des BBC in London. Indem sich die beiden gegen patriarchale Strukturen in der Ehe und gegen die Unterdrückung weiblicher Kreativität aussprechen, begehen sie eine Grenzüberschreitung: zum Entsetzen des Londoner Adels, dem auch Vita selbst angehört.

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Der Trailer zu Vita &Virginia.

Die Poetik der Druckerpresse

Die charismatische Vita trifft schließlich auf die angesehene Schriftstellerin Virginia Woolf, deren fragile, doch ungemein kluge Art perfekt von Elisabeth Debicki verkörpert wird. Virginia Woolf und ihr Mann Leonard Woolf betreiben gemeinsam den Verlag The Hogarth Press. Wenn die beiden die einzelnen Buchstabenziegel zu Worten und Sätzen sortieren und die Tiegeldruckerpresse zum Einsatz kommt, dann kann man das mechanische Rattern hören und die Druckertinte förmlich riechen. Virginia sitzt meist rauchend in ihrem Schreibzimmer und verfasst ikonische Texte wie den Roman „Mrs Dalloway“ oder das kritische Essay „A Room of One’s own“. Wenn ein weißes Kreidekreuz auf der Zimmertür prangt, so will sie nicht gestört werden.

Zwei ungleiche Frauen

Vita und Virginia sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Aus der anfänglichen Freundschaft entsteht eine rauschende Liebesaffäre. Die Frauen schreiben sich Liebesbriefe, die in Form von Monologen mit direktem Blick in die Kamera gesprochen werden. Die Porträts von Vita und Virginia verschwimmen teilweise, was eine starke poetische Wirkung auf den Zuschauer hat. Was die Liasion erschwert, sind die manisch-depressiven Anfälle Virginias, die immer dann auftreten, wenn sie eines ihrer Werke vollendet hat. Diese Schübe werden filmisch aufgegriffen, indem Pflanzenflechten über Türrahmen und Möbel wachsen. Das Pflanzenmotiv durchzieht den Film wie ein roter Faden, so entstehen sinnliche Aufnahmen im botanischen Gewächshaus und in Vitas Garten.

Starkes, weibliches Kino

Vita dient schließlich auch als Vorlage und Inspiration für Virginias Roman „Orlando“. Woolf revolutioniert das Genre der Biografie, indem sie einen Helden schafft, der zur Heldin und später zur Fiktion wird. So dekonstruiert sie herkömmliche Geschlechterrollen. Als Vorlage zum Film dient das gleichnamige Theaterstück von Eileen Atkins, welches wiederum auf dem realen Briefwechsel zwischen Virginia Woolf und Vita Sackville-West beruht. Eileen Atkins hat gemeinsam mit Regisseurin Chanya Button das Drehbuch verfasst. Daraus ist ein sinnlicher, intellektueller und poetischer Film geworden, der fast durchweg von Frauen produziert wurde. Das Virginia-Woolf-Biopic ist zudem eine hybride Mischform, denn es vereint eine poetische Sprechweise, Kostüme wie aus einem Historienfilm und zeitgenössische Musik, die von Isobel Waller-Bridge ausgewählt wurde. Durch die gelungene Verflechtung von historischen und modernen Komponenten wird die progressive Thematik des Films nochmals unterstrichen.

Eine starke Frau: Regisseurin Chanya Button
(Bild: Filmfest München/Kurt Krieger)

Vita &Virginia“ lief auf dem Filmfest München in der Reihe Spotlight und kommt am 31. Oktober 2019 deutschlandweit in die Kinos.