Ein Kommentar von Julia Kriegl
Unkontrollierbares Neuland: Online-Klausuren
Die Coronakrise führt auch im Unibetrieb zu immer neuen Maßnahmen: Prüfungen finden mittlerweile auch in Form von Online-Klausuren statt. Das bringt so manche neue Herausforderung für Studierende und Dozierende mit sich. Ein Kommentar von Julia Kriegl.
Im virtuellen Klassenraum
Der Link per E-Mail ist da, jetzt wird es ernst: Ich werde in ein paar Tagen zum ersten Mal in meinem Leben eine Online-Klausur mitschreiben. Wie das genau ablaufen wird? Keine Ahnung. Auch unter meinen Kommilliton*innen macht sich Panik breit. Darf ich mir nebenbei Notizen machen oder zählt das schon als Unterschleif? Werde ich wirklich die ganze Zeit per Video beobachtet und ganz nebenbei: Was, wenn ich zwischendurch dringend aufs Klo muss?
Zuerst muss man sich bei Zoom eine halbe Stunde vor der Klausur im “virtuellen Klassenraum” einschreiben. Dort ist jede*r verpflichtet, sein Video anzuschalten, um dem Dozierenden den Personalausweis zeigen zu können. Der Videochat läuft weiter, bis die Klausur fertig ist. Um sich nicht gegenseitig zu stören, sind allerdings die Mikros stummgeschaltet. Trotz der ungewohnten Umstände kann ich mich persönlich ganz gut auf die Klausur konzentrieren. Trotzdem eine ganz neue und komische Erfahrung. Aber klar, Online-Klausuren sind natürlich sinnvoll in Zeiten des Kontaktverbotes. Aber hat diese Prüfungsart langfristiges Zukunftspotenzial, sogar fernab von Corona? In der derzeitigen Form sind Online-Klausuren auf jeden Fall kein adäquater Ersatz für die herkömmlichen Prüfungsformen.
Herausforderung Homeoffice-Arbeitsplatz
Das bekannte Szenario in der Uni: Mal niest jemand, mal räumt jemand lautstark den halben Hausstand vom Tisch – aber insgesamt ist es doch relativ ruhig: Bei einer Klausur in der Uni sitzen alle im selben Boot. Alle müssen mit denselben Störfaktoren klarkommen, haben aber einen gesicherten Arbeitsplatz im geräumigen Vorlesungssaal. Zuhause sieht das anders aus. Viele Student*innen leben derzeit bei der Familie oder in einer WG. Für Online-Klausuren haben dort nicht alle einen ruhigen Rückzugsort, nicht alle haben die Möglichkeit, sich ungestört die optimale Arbeitsatmosphäre zu schaffen.
Suboptimale Bedingungen sind also vorprogrammiert: Der Presslufthammer der Bauarbeiter auf der andere Straßenseite, die Kinder in der Wohnung ein Stockwerk höher – alles Faktoren, auf die man wenig Einfluss hat, wenn es darum geht, konzentriert seine Klausur zu schreiben. Wer ruhiger wohnt, kann sich unter Umständen besser konzentrieren. Chancengleichheit sieht anders aus.
Mangelware: Technische Ausrüstung
Neben möglicher Lärmbelästigung steht noch eine ganz andere Hürde vor den Online-Klausuren. Laut dem Statistischen Bundesamt hatten 2019 rund 95 Prozent der deutschen Haushalte Internetanschluss. Dabei darf man allerdings nicht vernachlässigen, dass die Internetgeschwindigkeit von Haushalt zu Haushalt sehr stark variieren kann. Eine gut funktionierende WLAN-Verbindung ist allerdings schon Grundvoraussetzung für die reibungslose Teilnahme an den Online-Klausuren.
Vielen Studierenden fehlen darüber hinaus auch technische Mittel wie funktionsfähige Laptops. Ohne den nötigen finanziellen Hintergrund können defekte Geräte nicht problemlos durch neue Exemplare ersetzt werden. So müssen diejenigen, die sich eine Reparatur finanziell nicht leisten können, zum Beispiel ohne Kamera- oder Mikrofunktion arbeiten. Internet und technische Ausrüstung sind einfach nicht für alle selbstverständlich. Doch auch das darf kein Faktor sein, der über Bestehen oder Nicht-Bestehen einer Uniklausur entscheidet.
“Wir sind natürlich auch gerade am Lernen. Wir fragen die Studierenden nach der technischen Ausstattung, damit wir wissen – auch für die Online-Lehre – worauf wir uns einstellen müssen.”
Dr. Bernhard Goodwin, Geschäftsführer des Instituts für Kommunikationswissenschaft (IfKW) an der LMU
Alles auf Vertrauensbasis: Spicken vorprogrammiert!?
Und auch auf die Dozierenden kommen neue Unwägbarkeiten zu, vor allem die neuen Möglichkeiten auf Unterschleif. Selbstverständlich wird per Zoom-Videochat überprüft, ob jemand spickt. Da die Kamera allerdings keinen 360 Grad Winkel hat, werden kreative Köpfe eher nicht vom Schummeln abgehalten. Zwar wird der Zoom-Chat protokolliert und das Öffnen von neuen Tabs neben der Klausur verzeichnet. Theoretisch gäbe es jedoch genügend andere Wege, zu schummeln. Während in der Uni vor dem Toilettengang normalerweise alles abgegeben und kontrolliert werden muss, darf man zum Beispiel während einer Online-Klausur jederzeit ohne Vorwarnung das stille Örtchen aufsuchen.
Niemand kann dann nachprüfen, ob das alles gerecht zugeht oder ob im anderen Raum vielleicht das Skript studiert wird, das man sich einfach nicht so gut einprägen konnte – sofern es nicht sowieso schon die ganze Zeit neben dem Laptop liegt. Solche Faktoren lassen sich online schlichtweg kaum ausschließen. Dementsprechend hat die Aufsichtsperson keine andere Wahl, als sich auf die Moral und das Verantwortungsbewusstsein der Studierenden zu verlassen. Ehrliche Studierende müssen darauf hoffen, dass die Situation keinen erheblichen Nachteil für sie ausmacht.
“Wir haben versucht, dass Unterschleif minimiert wird – ganz kann man ihn in einem solchen Setting natürlich nicht verhindern.”
Dr. Bernhard Goodwin, Geschäftsführer des Instituts für Kommunikationswissenschaft (IfKW) an der LMU
Derartige Unsicherheiten und Chancenungleichheiten, die die derzeitigen Online-Klausuren mit sich bringen, lassen eine Lösung mit vielen Fragen zurück. Bis diese nicht klarer beantwortet werden können, stellen Online-Klausuren höchstens eine sehr rudimentäre Behelfslösung dar. Auch deshalb sollen Prüfungen laut der Bayerischen Staatskanzlei bald wieder in Präsenzform möglich sein.