Geflüchtete in München

Ungehört inmitten der Diskussion

/ / Foto: privat

Migrations- und Asylpolitik bestimmt auch regelmäßig die Tagesordnung des Bundestags oder der Landesparlamente. Dabei sind sich die unterschiedlichsten Politiker:innen – ob CSU, FDP oder SPD – einig: die Kommunen sind überlastet. Im M94.5 – Interview sind nun die zu Wort gekommen, die bei den Debatten über Migration kaum zu hören sind: die Geflüchteten selbst.

Die 43. Ausgabe des SPIEGEL-Magazins sorgte mit ihrem Titelblatt auf Social Media für viel Diskussion und Aufruhr. Der Bundeskanzler Olaf Scholz fordert, dass Deutschland “endlich im großen Stil abschieben muss”. Was früher aus den Reihen der CDU oder anderer konservativer Parteien zu hören war, ist längst auch in der Argumentation der SPD angekommen: unbegrenzte Migration gefährde den Sozialstaat. Gegenüber dem Magazin erklärte der Bundeskanzler, dass es demnach “nicht unmenschlich” und “Verantwortung der Regierung” sei, einen funktionierenden Wohlfahrtstaat zu sichern und Asylsuchende ohne Bleibeperspektive konsequent und schnell abzuschieben. Zu solchen Fällen zählen beispielsweise Geflüchtete, die nach dem Dublin-Abkommen bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden und damit verpflichtet sind, in diesem Land einen Asylantrag zu stellen.

Italien – ein Fluch und Segen zugleich

Fahim, Ehrenamtlicher im Bellevue di Monaco.
Foto: privat.

Fahim ist einer dieser Geflüchteten, die nach dem Dublin-Abkommen keine Aussichten auf Bleiberecht haben. Anfang August 2021 wurde er gemeinsam mit seiner Familie kurz vor der Machtübernahme der Taliban von der italienischen Regierung evakuiert und nach Italien gebracht. Er beschloss jedoch nach Deutschland zu kommen, da einige seiner Verwandten dort seit einiger Zeit leben und es eine Chance auf eine bessere Zukunft gibt. Italiens Evakuierung hat zwar ihm und seiner Familie ihr Leben gerettet, brachte jedoch auch eine Bedingung mit sich: Fahim muss nach geltendem Recht einen Asylantrag in Italien stellen.

Das M94.5 – Interview mit Fahim

Das Problem mit dem Dublin-Abkommen

Mit einem kurzen Blick auf die Weltkarte wird folgendes klar: wer sich zu Fuß nach Europa aufmacht, muss in den häufigsten Fällen das Mittelmeer überqueren. Somit kommen die Geflüchteten in den meisten Fällen entweder in Griechenland, Italien oder Spanien an, wo sie oft auch Push-Backs auf offenem Meer ausgesetzt sind. Die einzige Route ohne Seeweg ist die nördliche Balkanroute über Bulgarien, bei der jedoch bereits zahlreiche Geflüchtete der Gewalt bulgarischer Grenzsoldaten zum Opfer gefallen sind.

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Nach dem Dublin- Abkommen müssen geflüchtete Personen im ersten EU- Ankunftsland Asyl beantragen, sodass sie dadurch keine Wahl haben, welches Land ihnen Schutz gewähren soll. Durch die geografische Lage und Fluchtroute stehen den Geflüchteten nur sehr wenige Länder zur Auswahl. Für viele Geflüchtete hört in diesen Ländern der Fluchtweg noch nicht auf und geht weiter gen Deutschland, England oder auch Schweden.

Zwischen Rastlosigkeit und Hoffnung

Bei der Ankunft in Deutschland steht den Geflüchteten ein teils langer Asylprozess bevor. Während ukrainische Geflüchtete diesen nicht durchlaufen müssen, heißt es für Geflüchtete aus anderen Ländern: Warten. In dieser Zeit dürfen geflüchtete Personen in der Regel nur mit der Erlaubnis der Ausländerbehörde arbeiten. Wenn sie aber bis zum Beschluss des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einer bestimmten Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen, dürfen sie nicht arbeiten.

Fahim fühlt sich im aktuell laufenden Asylprozess nicht nur rastlos, sondern auch nutzlos. Für ihn sei es nicht wichtig, Geld zu bekommen und vom Wohlfahrtstaat zu profitieren. Er möchte ein Teil dieser Gesellschaft sein und seinen Beitrag leisten.

“I’m here to be impactful, I’m here to be productive”

Fahim

Auch für Yahya, der mittlerweile hauptberuflich als Altenpfleger arbeitet, war die Zeit des Asylprozesses von der Gefühlslage ähnlich. Auch lies bei beiden der Deutsch- und Integrationskurs lange auf sich warten. Bellevue di Monaco war an dieser Stelle für beide eine wahre Rettung, um der Langeweile zu entkommen und Deutsch zu lernen.

Das M94.5- Interview mit Yahya

Rassismus im Alltag

Bei seiner Ankunft in Deutschland verharrte Yahya die erste Zeit nicht nur ohne Arbeit und Deutschkurs. Sein Alltag und der seiner Familie wurde von rassistischen Beleidigungen im öffentlichen Raum begleitet. Der 40- jährige Geflüchtete aus dem Yemen erzählt im Interview, welche diskriminierenden Erfahrungen seine Kinder bereits machen mussten.

Bereits im Jahr 2016 führte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Studie zu Rassismuserfahrungen bei Geflüchteten durch und kam zu einem erschreckenden Ergebnis: Für 94 % der befragten Einrichtungen der Studie ist Rassismus das wichtigste Diskriminierungsmerkmal. Geflüchtete erleben besonders im Arbeitsumfeld, bei Behördengängen und auf dem Wohnungsmarkt eine Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft. Anfeindungen auf offener Straße oder im Supermarkt bleiben aber Yahyas Erzählungen zufolge auch nicht aus.

Yahya ist trotzdem sehr dankbar, in Deutschland sein zu dürfen und berichtet auch von seiner Nachbarin Waltraud, die im bayerischen Wald eine besondere Begleitung und Hilfe für ihn und seine Familie war.

Bellevue di Monaco – a safe and busy space

Wie für Fahim und Yahya ist die Ankunft in Deutschland für zahlreiche Geflüchtete ein schwerer Start voller Hindernisse in ein neues Leben in Europa. Aufgrund der hohen Geflüchtetenzahlen in den Jahren 2015/16 kam es zur Gründung der Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco eG, die nicht nur Geflüchteten in der Müllerstraße 2-6 eine Wohnmöglichkeit, sondern auch eine Anlaufstelle für unterschiedliche Beratungsangebote bieten sollte.

Die Leuchtschrift am Eingang des Bellevue di Monaco. Foto: Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco.

Das Projekt läuft nach wie vor erfolgreich und ist nicht nur zu einem heimischen safe space, sondern auch busy space geworden. Fahim und Yahya, aber auch viele andere Geflüchtete packen tatkräftig bei den wöchentlichen Veranstaltungen und Zusammenkünften an, die wiederum kürzlich angekommene Geflüchtete bei einem Glas Tee oder einem warmen Essen empfangen und in München so willkommen heißen.

Das Kulturzentrum ist aber nicht nur für Geflüchtete, sondern explizit für alle offen. So soll ein Miteinander von Münchner:innen und Geflüchteten möglich werden.

Das Bellevue di Monaco von der Außenansicht am Abend. Foto: Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco.