Schauspieler:innen von "Gigantische Einsamkeit" an den Münchner Kammerspielen mit Umzugskisten

Theaterkritik

Trauer im Karton

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Samt Umzugskisten macht es sich Rosa Rieck im Werkraum gemütlich, doch “Gigantische Einsamkeit” bleibt wie ein träger Fels an einem Fleck.

Ein Busfahrer, eine junge Frau, ihr Freund Heiko und ihre Mutter wohnen in einem Haus am Ende einer Straße. Vor kurzer Zeit ist jemand in der Nachbarschaft verstorben. Ein Toter im Zwischengeschoss. Wem steht es jetzt zu, zu trauern? Und wer hat Anspruch auf die Gesamtausgaben und den alten Kaschmirpullover? Das Hab und Gut des ehemaligen Nachbarn steht in Kartons vor der Tür. Zwischen ihnen findet die Hausgemeinschaft einen kleinen Roboterhund.

Das Theaterstück Gigantische Einsamkeit, welches am 15.01.2025 Premiere im Werkraum an den Münchner Kammerspielen feiert, lädt dazu ein, Trauer im Alltag zu beobachten. Wie verhalten sich Menschen, wenn jemand stirbt? Wie wichtig ist es, ob sich der verstorbene Nachbar an mich erinnert? Und wie drücke ich mein Beileid den Menschen gegenüber aus, denen es eigentlich zusteht, zu trauern?

„Was heißt das: Empathie
Dass man mitfühlt, also beispielsweise
Jemand stirbt
Und es ist einem nicht egal”

Gigantische Einsamkeit von Paula Kläy

Der Titel will mich mit seinem Gewicht tief in den grünen Sessel drücken. Aber der Abend hat die Schrägheit von drei in Küchenpapier eingewickelten Essiggurken. Menschen sagen, Trauern ist wie ein großer Felsbrocken, aber der Pappmaché-Stein auf der Bühne sieht eher billig aus.

Den wirklich interessanten Ansätzen und Gedankenspielen wird nicht genug Platz eingeräumt. Die authentische Sprache führt zwar zu einigen Lachern, aber auch weit weg von dem Trauer-Giganten, der im Titel lauert.

Konstantin Schumann, Stefan Merki, Annika Neugart, Lucy Wilke Foto: Julian Baumann

Gerade der Roboterhund, der helfen soll, Trauer zu bewältigen, wirkt fehl am Platz. Mit einer Styroporkiste, aus der ein Licht herausscheint, wird seine Existenz behauptet. Eine nicht menschliche, aber auch nicht gänzlich maschinelle Stimme spricht für ihn. Wie eine Stimme aus dem Off, um zu sagen, dass Trauerarbeit nicht so richtig in unsere kommerzielle Welt passt. Dabei erzählt sich das von ganz allein, durch die ungewöhnliche Konstellation der Nachbar:innen und den Kisten voll Krimskrams. Durch das, was übrigbleibt.

WENN TRAUER EFFIZIENT WERDEN SOLL

Später wird die Anleitung zum Roboter gefunden. Das Gerät soll dafür sorgen, dass Gefühle „ordentlich“ verarbeitet werden:

„damit die Welt, wie wir sie kennen, nicht aus den Fugen gerät / Denn ganz bestimmt und unbedingt gilt es dafür zu sorgen, dass die Welt, wie wir sie kennen, nicht aus den Fugen gerät“.

Genau dieser Teil der Idee, dass ein Gerät dafür sorgen soll, dass alles schnell wieder so ist, wie immer und ja niemand darüber nachdenkt, ob das alles einen Sinn ergibt, ist fruchtbar. Die Idee, einen kleinen Roboterhund dafür zu haben, nicht gänzlich aus dem Leben geschleudert zu werden ist so banal und damit sehr treffend zugespitzt. Allein die Inzenierungsidee und die Umsetzung der sprachlichen Elemente, welche dem Roboterhund zugeteilt sind, überzeugt nicht recht.

WIR STEHEN DA, IN EINER DÜSTERHEIT

Zwischen Kisten schnipsen sich Stefan Merkis und Annika Neugarts Rollen Zigaretten an. Ein ganz egaler Cityroller fährt Bahnen um den Spielzeugfelsen und schwarze Asche regnet weiß leuchtend vom Scheinwerferlicht zu Boden.

Der zweite Handlungsstrang mit einem Kind und seinem Vater berührt auf seiner textlichen Ebene und der Einfachheit der Bewegungen. Paula Kläy schreibt wunderbar einfach und schafft eine Tiefe in den Texten, die Paul Fontheim und Samuel Koch mit Leichtigkeit aufnehmen und durch ihr Spiel verstärken.

Samuel Koch, Paul Fontheim Foto: Julian Baumann

Als sich zum Ende die parallellaufenden Handlungen auf einem Grillfest treffen, nachdem die Trauergesellschaft entscheidet, fertig mit der Trauer zu sein, sehen wir ganz ruhig dem nächsten Abgrund entgegen.

Anders als bei Liebe (Amour), einem Stück aus der letzten Spielzeit der Münchner Kammerspiele, das im Dezember abgespielt wurde, wird der Tod nicht besonders tragisch oder dramatisch dargestellt. Generell handelt es sich eher um Gespräche unter der Nachbarschaft und ein paar überspitzte Posen als um einen wirklichen Tauchgang in die Themenwelt der Trauer.

Durch die toll ausgearbeiteten Figuren und deren gemeinsame Situation, würde ich mir aber eine Serie mit 24 Folgen liebend gerne marathonmäßig reinziehen, für eine Stunde Spielzeit sind die Beziehungen innerhalb des Stückes aber leider nicht weit genug auserzählt.

Gigantische Einsamkeit ist ein Stück, das mit starken Figurenkonstellationen glänzen kann, aber den Tiefgang in den einzelnen Themen nicht auskostet. Obwohl Rieck kleine schöne Momente schafft, überzeugt gerade die Inszenierung des Trauerbewältigungsroboters nicht. Der Abend bleibt unter seinem textlichen Potential.

Zum aktuellen Spielplan der Münchner Kammerspiele gelangt ihr hier. “Gigantische Einsamkeit” wird in der Spielzeit 24/25 gezeigt. Auf der Website sind bestimmte Ermäßigungsaktionen für Studierende gekennzeichnet. Wo es sonst überall Studi-Ermäßigungen bei Theatern gibt, könnt ihr hier nachlesen.