Kommentar

Transphobie in den Medien – Die Emma ist nicht allein

/ / Bild: M94.5 / Vroni Kallinger

Die Zeitschrift Emma hat am Mittwoch einen transphoben Online-Artikel über die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer veröffentlicht, der für Empörung gesorgt hat. Was die Emma nicht verstanden hat und wieso sie nur ein Beispiel für ein Problem ist, das in den deutschen Medien noch viel tiefer geht: ein Kommentar von Christina Böltl.

Bei der Bundestagswahl 2021 ist Tessa Ganserer auf einem Frauenplatz der paritätisch besetzten Liste der Grünen angetreten. Die traditionell als feministisch bekannte Zeitschrift Emma kritisiert das in einem neuen Artikel. „Statt einer Frau sitzt jetzt ein Mensch auf diesem Platz, der körperlich und rechtlich ein Mann ist, sich jedoch als Frau ‘fühlt‘”, schreibt das Magazin – Ein Satz, der zeigt wie wenig die Emma verstanden hat.

Körperliche Selbstbestimmtheit

„Statt“ einer Frau? Es sitzt dort eine Frau und zwar Tessa Ganserer. Warum also will die Emma das nicht anerkennen? Sie bezieht sich hier auf eine körperliche und rechtliche Komponente. „Ganserer hat weder sein Geschlecht operativ angleichen lassen, noch hat er/sie jemals seinen/ihren Personenstand amtlich geändert“, heißt es im Artikel, der konsequent falsche Pronomen für Frau Ganserer verwendet.

Abgesehen davon, dass auch die Intimsphäre einer öffentlichen Person Privatsache ist: Transpersonen müssen selbst entscheiden, ob sie den teuren, riskanten und schmerzhaften Schritt einer bzw. mehrerer OPs gehen wollen. „My body my choice“ gilt auch für trans Frauen. Das Argument an körperlichen Merkmalen die Identität einer Person festmachen zu wollen ist erst recht heuchlerisch, wenn es von einem Magazin kommt, das sonst etwas dagegen hat Frauen auf ihren Körper zu reduzieren. Feminist:innen haben jahrelang für körperliche Selbstbestimmtheit gekämpft. Warum also sollte man jetzt bei Transpersonen mit einem anderen Maß messen?

Personenstand

Die Emma kritisiert außerdem den rechtlichen Personenstand von Frau Ganserer. Aber auch das ist kein valides Kriterium, ob jemand eine Frau ist. Denn der momentane Prozess der Personenstandsänderung durch das Transsexuellengesetz ist nicht nur langwierig und teuer, sondern auch erniedrigend. Tessa Ganserer setzt sich deshalb aktiv gegen das momentane Gesetz ein, das selbst vom Bundesverfassungsgericht in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Immerhin erkennt auch der Emma-Artikel an, dass das momentane Transsexuellengesetz veraltet und reformbedürftig ist. Wiederholt auf den rechtlichen Personenstand von Frau Ganserer hinzuweisen ergibt also wenig Sinn.

In einem Interview mit T-Online erklärte Tessa Ganserer, warum sie ihren Personenstand unter den aktuellen Bedingungen nicht ändern lassen will: „Ich werde mich nicht vor einen Richter stellen, um mir intimste persönliche Fragen zu meinen frühkindlichen Erlebnissen, meinen sexuellen Präferenzen und Partnerinnen gefallen zu lassen, damit er für diesen Staat entscheiden kann, dass ich die Frau bin, die ich schon immer war“

Deadnaming

Ein weiteres Problem im Artikel: Von Anfang an wird Frau Ganserers Deadname verwendet. Also den Namen, den sie abgelegt hat, weil er mit dem Geschlecht korrespondiert, das ihr bei Geburt zugeordnet wurde. Deadnaming ist ein Ausdruck von Respektlosigkeit und Aberkennung der Identität. Einen Deadname zu verwenden zeigt, dass man die Autonomie einer Person nicht anerkennt und sie als die Person, die sie wirklich ist, ablehnt. Das ist nicht nur ein kleiner Faux-Pas, es ist eine Beleidigung. Wie kann es also sein, dass in der Berichterstattung über Frau Ganserer zahlreiche Medien ihren Deadname nennen? Eine Auswahl: FOCUS, Welt, Cicero, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Stern, Tagesspiegel, Bayerischer Rundfunk, Augsburger Allgemeine, RTL und die Bild. Sie alle nennen den Deadname der Politikerin. Und die Grünen-Abgeordnete ist hier auch nur ein Beispiel für diese Praxis. Das gleiche Phänomen konnte man auch in einer Vielzahl von Artikeln zum Coming Out des Schauspielers Elliot Page letztes Jahr beobachten. Man sollte meinen, dass Medien irgendwann aus ihren Fehlern lernen, aber bis jetzt sieht es nicht danach aus.

Transfeindliche Narrative

Noch etwas irritierender als Artikel, die „nur“ den Deadname verwenden, sind solche die ein gezieltes transfeindliches Narrativ direkt pushen. Im Artikel über Frau Ganserer wird sich des Narrativs bedient, dass sie sich widerrechtlich einen Listenplatz erschlichen hätte, indem sie über ihr Geschlecht falsche Angaben mache.

Das gleiche Narrativ bedient auch ein Artikel in der FAZ, wo es heißt: „Jeder Mann, der sich als Frau definiert, kann sich ja nun einen weiblichen Listenplatz erstreiten. Robert Habeck hätte seine Chance auf die Kanzlerkandidatur also deutlich steigern kön­­­nen, wenn er kurz mal das Geschlecht gewechselt hätte“.

Diese Art von Gedankengang unterstellt trans Personen nicht nur Betrug, er zeigt auch, dass die Autor:innen nicht verstehen was es bedeutet trans zu sein. Und das auch nicht versuchen. „Kurz mal“ das Geschlecht wechseln – eine lächerliche Vorstellung. Keine Person würde sich dem freiwillig aussetzen, mit dem trans Personen immer wieder konfrontiert sind. Hass, Diskriminierung und Gewalt gegen trans Menschen sind in Deutschland leider immer noch weit verbreitet.

Mehr Informationen und Zahlen zu Diskriminierung gegen trans Personen in Deutschland hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hier zusammengefasst.

Sich dem nur für einen Listenplatz auszusetzen, scheint eher wie eine an den Haaren herbeigezogene Idee, die benutzt wird, um trans Menschen und ihre Erfahrungen zu diskreditieren. Denn Fakt ist: trans zu sein ist nichts, was man sich aussuchen kann. Das ist keine Frage von Lifestyle. Und hoffentlich kommt das auch bald in den deutschen Medien an.