Totenüberlebung Johannes Schöneberger , Paula Aschmann , Charlotte Hovenbitzer , Vinzenz Sommer , Arthur Becker , Marlon Bienert  Foto: Hanna König

Theaterkritik

Von Kriegen und Herzen – Eine Inszenierung voller Leben: „Totenüberlebung“

/ / Theaterstück Münchner Kammerspiele

Eine Produktion der Otto Falckenberg Schule, erstaunlich zeitlos und zugleich aktuell. Paula Schlagbauer inszeniert ein absurdes Spiel mit herrlich stumpfsinnigen Figuren, die in ihrer Realität trotz allem an existentielle Fragen stoßen.

“Bei allen Toden handelt es sich um Bühnentode. Im Theater stirbt man nämlich nicht”, steht als Disclaimer im Programmheft. Die kleine gestreifte Welt, die Regisseurin Paula Schlagbauer und Künstlerin Isi Heigl im Werkraum der Münchner Kammerspiele erschaffen, wird zum Leben erweckt.  

Von Schattenspiel, Chorgesang und Verkleidungskiste plündern zu Klartext reden auf der Leiter: “Kann ein Banner, dass man sich über die Brüstung des Balkons hängt, wirklich für Solidarität stehen?”  

Marlon Bienert, Vinzenz Sommer, Paula Aschmann, Johannes Schöneberger, Charlotte Hovenbitzer, Arthur Becker
Foto: Hanna König

WURST ESSEN MIT EINEM HERZ, DOCH DAS HERZ LEHNT AB

In Totenüberlebung von Jona Spreter in der Regie von Paula Schlagbauer wird nun all das, was aktuell ist, was wichtig erscheint, gemurmelt. Es geht um den Krieg, keine Frage, und es geht um die Liebe. Stawrogin und Ludovika, zwei ganz unterschiedliche Figuren sprechen über das Bleiben und das Gehen. Den Tod und den Nicht-Tod. Irgendwie überleben sie in einer ausgedachten Welt, die der unsrigen mehr ähnelt als die absurden Gestalten erst vermuten lassen. Auf der Suche nach etwas Großem, wie dem Krieg, und mindestens einem Abenteuer will Stawrogin aufbrechen. Ludovika, seine Geliebte, bleibt und grübelt. Über Männer, Gerechtigkeit und über Leben.

“Ich möchte in den Krieg ziehen. So. Jetzt ist es ausgesprochen. Denn: Auch hier ist der Krieg. Ich sehe den Krieg an den Supermarktkassen.”

Totenüberlebung von Jona Spreter

Paula Aschmann, Johannes Schöneberger
Foto: Hanna König

DER KRIEG IN DER ALTSTADTGASSE

Das bekannte Thema – einer zieht in den Krieg, eine wartet – wird in schwarze Schühchen gesteckt, bekommt blaue Wölklein aufs triste Hemd gepinselt und rosig rote Wangen aufgemalt. Wozu überhaupt in den Krieg? Was macht eine Soldatin im Wald?

Die Texte werden mehrheitlich ungewöhnlich betont und verändern so die Gewichtung zwischen Inhalt und Form. Der Held – wenn er einer ist – wird von fünf bärtigen Schauspieler:innen verkörpert, die auf unterschiedliche Art die gleichen Charakterzüge spielen.  Eine Held:innen Meute auf der kleinen Bühne, die hadert und fragt und dann doch, oder doch nicht wieder aufsteht. 

Der Rhythmus der Sprache wird durch einen Schlagzeuger auf der Bühne aufgenommen und weiterverarbeitet. Generell scheint es, als stehe die Geräuscherzeugung im Mittelpunkt der Inszenierung. So werden viele Teile von Spreters Theatertext gesungen oder gemeinsam gesprochen. Was inhaltlich geschieht erscheint ohnehin teilweise vollkommen unsinnig.

Vinzenz Sommer, Marlon Bienert, Johannes Schöneberger, Arthur Becker, Paula Aschmann, Charlotte Hovenbitzer
Foto: Hanna König


ZWISCHEN GRASHALMEN IM BIRKENWALD

Dieser Theaterabend lässt nicht nur zu, dass über die fiktiven Personen und die abstrusen Handlungen gelacht wird, auch über das Theater und das Spielen, dass im Werkraum so nah am Publikum möglich ist, muss ich schmunzeln. Das Stück gibt uns nichts und alles zugleich, bleibt ein wirrer Mix aus Eindrücken und macht ebenso hungrig wie satt. “Totenüberlebung” ist wie nachts die letzte U-Bahn erwischen und mit irrsinnigen Gestalten zu einem ungewissen Ziel fahren. Ganz wie das Leben, nur eben in pinken Radlerhosen.

Zum aktuellen Spielplan der Münchner Kammerspiele gelangt ihr hier. Dort sind die Produktionen der Otto Falckenberg Schule gekennzeichnet. Wo es sonst überall Studi-Ermäßigungen bei Theatern gibt, könnt ihr hier nachlesen.