M94.5 Kulturkritik
Theater im Stream – Irgendetwas fehlt
Die Theater in Bayern öffnen wieder. Seit 15. Juni darf unter Auflagen wieder gespielt werden. Doch wollen Theaterfans wirklich wieder mit Maske in einen umgebauten Zuschauerraum, wo es doch alles kostenlos zum Streamen gab?
STREAMEN BIS DAS WLAN VERSAGT
Ab 11. März waren alle Theater in Bayern wegen der Corona-Epidemie geschlossen: keine Live-Vorstellungen, keine Proben. Viele Theater reagierten auf die Vorstellungsausfälle mit Inszenierungen aus der Konserve. Schauspielhäuser wie die Münchner Kammerspiele zeigten ihre internen Mitschnitte kostenlos im Internet. Die Zahlen waren gut, denn Theaterliebhaber aus ganz Deutschland konnten mal eine Vorstellung in Berlin anschauen, mal in Köln und mal in München – gerne auch an nur einem Abend.
Nie war es einfacher und günstiger sich Inszenierungen von den großen deutschen Schauspielhäusern anzuschauen und das alles ohne Warten, ohne Ticket und ohne “Schickmachen”. Sogar das Internetportal nachtkritik.de, bekannt unter anderem durch das renommierte Nachtkritik-Theatertreffen, veröffentlichte auf seiner Homepage einen digitalen Spielplan mit den Streams für jeden Tag. Die Frage liegt nahe: Können Streams ein echtes Theatererlebnis ersetzen?
THEATER BESTEHT AUS INTERAKTION
Fragt man in der Münchner Kulturszene nach, so ist die Antwort ein ganz klares “Nein”. “Theater ist ein Live-Erlebnis, Streams funktionieren nur bedingt”, sagt Ingrid Trobitz, stellvertretende Intendantin am Residenztheater. Dass es auf der Homepage kaum Streamingangebote gab, hatte mehrere Gründe. Einerseits ist die Intendanz von Andreas Beck noch sehr neu und hat somit noch kein großes Video-Repertoire. Andererseits muss die Qualität der Mitschnitte auch sendefähig sein, erklärt Trobitz. Die internen Mitschnitte werden für Umbesetzungen oder zu Archivzwecken angefertigt und dürfen rechtlich nur für hausinterne Zwecke verwendet werden. Außerdem seien sie qualitativ leider nicht ausreichend. Deshalb überlegte man sich ein Alternativprogramm, das dem Live-Event Theater näher kommt. Mit “Resi ruft an” wurde versucht mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben.
Eine Online-Inszenierung gelang dem Haus mit “Lenz” nach Georg Büchner. Die Veranstaltung mit Schauspielerin Lisa Stiegler wurde live via Zoom aufgeführt. Zentraler Bestandteil der Inszenierung: Der Austausch zwischen den vier Zusehenden und der Schauspielerin.
Außerdem gab es mit dem “Tagebuch eines geschlossenen Theaters” eine tägliche Videobotschaft aus dem Theater. Darin zeigten die SchauspielerInnen des Ensembles kleine Geschichten und Anekdoten aus dem Theateralltag. Die Angebote waren dabei kostenlos und sollten eine Art Trost für die ausgefallenen Vorstellungen sein, sagt Trobitz.
Die Not machte auch am Theater HochX erfinderisch. Das HochX, das als Spielstätte für die freie Szene in München von großer Bedeutung ist, setzte ebenfalls nicht auf Streamingangebote, sondern etablierte äußerst gelungene Audio-Stadt-Spaziergänge der Künstlerin Henriette Fridoline Schmidt. Das Hörspiel nimmt die ZuhörerInnen mit auf eine literarische Reise durch München. Was positiv auffällt: Die Hörspiele sind, im Gegensatz zu vielen Online-Streams, gut produziert und machen wirklich Spaß. Antonia Beermann, künstlerische Leitung am HochX, sieht die Corona-Zeit auch als Experiment: “Nichts musste funktionieren. Man konnte mit wenig Aufwand Experimente starten und schauen was Spaß macht und woran man weiterarbeiten will.”
DAS PROBLEM MIT DEM GELD
Egal ob Stream oder Podcast, was nahezu alle Angebote in der Corona-Zeit gemeinsam hatten, war der kostenlose Zugang dazu. Natürlich kann ein freier Zugang zu Kultur in Krisenzeiten positiv gesehen werden, andererseits kann genau das zum Problem beim Restart werden. Denn im Kulturbereich sieht es finanziell schwierig aus. Auch mit den Öffnungen werden den Theatern große Teile der Einnahmen fehlen. Und das nicht nur in der freien Szene, selbst ein Staatstheater wie das Residenztheater muss mit Kürzungen des Etats rechnen. Vielleicht wird man den fehlenden Einnahmen der Zoom-Vorstellungen oder Podcasts nachtrauern.
WIRD ALLES ANDERS?
Mit dem Restart wird sich nun auch die Theaterlandschaft verändern. In einem ausgedünnten Zuschauerraum wird das Publikum nun mit Maske sitzen. Zwangsläufig werden da Veränderungen kommen. 2,5 Stunden im Zuschauerraum dürften Ausnahmen bleiben. Blickt man auf die Spielpläne so heißen die neuen Zauberworte “Soloperformance” und “ohne Pause”.
Wegen der geringen Zuschauerzahl müssen womöglich auch wieder Streams und alternative Formate herhalten: “Wir sind tatsächlich am überlegen, weil wir mit 30 statt 150 ZuschauerInnen starten, ob es eine Form von reduziertem Bezahlformat für Streams geben kann”, sagt Beermann. So könnten beispielsweise Personen aus der Risikogruppe parallel zur Vorstellung virtuell ins Theater gehen und sich online darüber austauschen.
Außerdem mag es nahe liegen, kürzere Inszenierungen zu zeigen, um mehrere ZuschauerInnen ins Theater zu bekommen. Das Problem in der freien Szene ist dabei, dass Gagen normalerweise pro Vorstellung gezahlt werden und es dann zu noch größeren Verlusten kommen könnte.
Es bleibt also weiter ein Experiment, wie sich das Theater nach den Öffnungen und kommenden Lockerungen der Kontaktbeschränkungen verändern wird. Der Tenor aus der Szene ist jedenfalls eindeutig: Theater besteht aus der Interaktion zwischen Schauspielenden UND Publikum – beim Streamen fehlt das.