Platte des Monats: Januar '21
The Notwist – Vertigo Days
Von sentimental gezupften Akustikgitarren zu krachenden Synthesizern und einer japanischen Blaskapelle: Das 9. Studioalbum von The Notwist überzeugt durch Klangexperimente und internationale Features.
Ein Handbuch fürs Miteinander
Brexit, der Aufstieg fremdenfeindlicher Bewegungen rund um den Globus und dann auch noch eine globale Pandemie. Seit dem letzten The Notwist-Album Close To The Glass sind viele unschöne Dinge passiert. Es sind “schwindelerregende Tage”, in denen wir uns befinden. Nach sechs Jahren Pause hat die Band also definitiv genug Input, um wieder neue Musik zu veröffentlichen.
Vor allem vom besagten Fremdenhass hatte The Notwist schon 2016 genug und haben darauf die Alien Disko ins Leben gerufen. Das jährliche Festival in den Münchner Kammerspielen sollte zeigen, wie harmonisch und kreativ eine Zusammenarbeit von Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen ist. Ihren internationalen Ansatz haben sie in Vertigo Days jetzt auch in Form eines Albums manifestiert.
Die Wahl-Münchner haben sich darauf Unterstützung aus mehreren Ländern geholt: Die amerikanischen Jazzmusiker:innen Ben LaMar Gay und Angel Bat Dawid, die Japanerin Saya (Tenniscoats), die argentinische Sängerin Juana Molina und die japanische Brassband Zayaendo sind unter den Gästen zu finden.
Das erste Mal wird auf einer The Notwist-Platte nicht nur Englisch gesungen. Denn die Kooperationen führen nicht nur zu einer angenehmen Diversität an Stimmen sondern auch zu zusätzlichen Sprachen: Spanisch, Französisch und Japanisch.
Dadurch erhalten die Geschichten auf Vertigo Days Perspektiven direkt aus unterschiedlichen Krisenherden. So erzählt Ben LaMar Gay in „Oh Sweet Fire“ von den George Floyd-Protesten oder Saya in „Ship“, wie das erste Schiff aufgrund der Corona-Pandemie nicht in Japan anlegen durfte.
Von Nord nach Süd
The Notwist schickt ihre Hörer:innen ein Mal quer über den Planeten und beleuchtet dabei alle noch so unschönen Makel. Dieser Roadtrip ist ein emotionales Hin und Her: Ruhige Singer/Songwriter-Passagen, wilde Krautrock-Momente und Rave-artige Parts begleiten die Hörer:innen auf ihrer Reise.
Eingerahmt wird alles von einem Intro-Outro-Doppelpack. Zum einen „Al Norte“ und „Al Sur“ – zum anderen „Into Love/Stars“ und „Into Love Again“. Das erste Paar unterstreicht den globalen Zusammenhalt – die zweite den Optimismus, den die Band betonen will.
“Now that you know how much it hurts
The Notwist – „Into Love/Stars“ und „Into Love Again“
won’t save you from falling into love again”
So schwer diese Zeit auch sein mag, die Liebe wird zurückkehren. Mit dieser Botschaft ist The Notwist das beste Album seit ihrem internationalen Durchbruch 2002 mit Neon Golden gelungen.
Vertigo Days ist am 29.1.21 bei Morr Music erschienen.