Tag der Arbeit mal anders
Digitales Demonstrieren für Arbeitnehmerrechte
Zum ersten Mal seit 1949 gibt es am 1. Mai keine Kundgebungen und Demos – dafür einen Livestream, ein “You’ll never walk alone”-Singalong und den Hashtag #SolidarischNichtAlleine. Schwerpunkt der Gewerkschaften sind heuer die Arbeitnehmer, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind.
Für die meisten Schüler*innen und auch für Studierende ist es nur ein freier Tag – für Gewerkschaften, Parteien und viele Arbeitnehmer*innen dagegen der Tag im Jahr, an dem sie ihre politischen Forderungen auf die Straßen bringen können: der 1. Mai. Das mit der Straße klappt heuer aber eher nicht so; Demonstrationen sind wegen der Corona-Pandemie aktuell natürlich nicht möglich – erst recht nicht mit mehreren tausend Teilnehmer*innen.
Ein Tag mit tragischer Geschichte
Fast 400.000 Fabrikarbeiter*innen waren es bei der ersten großen Protestaktion an einem 1. Mai, nämlich 1886 in den USA: Die Demonstranten forderten höhere Löhne, mehr Hygiene und Sicherheit am Arbeitsplatz und den Acht-Stunden-Tag – heute schon längst eine Selbstverständlichkeit. Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Polizei mit mehreren Toten. Der 1. Mai wurde daraufhin zum Gedenktag für die Opfer und zum weltweiten Protesttag der Arbeiterbewegung. In Deutschland wurde der Tag der Arbeit im Jahr 1919 erstmals gesetzlicher Feiertag und 1946 schließlich dauerhaft eingeführt. Symbol des Arbeitertages ist die rote Mai-Nelke.
Solidarisch ist man nicht alleine
Obwohl die Demonstrationen heuer ausfallen müssen, soll der Tag der Arbeit trotzdem stattfinden – digital! Die größte Aktion dafür stellt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auf die Beine: “Gemeinsam wollen wir am 1. Mai für Solidarität und soziale Gerechtigkeit kämpfen – mit Musikern, Comedians, Talks, Interviews und Solidaritätsbotschaften aus ganz Deutschland”, sagt der DGB. Der Livestream startet um elf Uhr. Die Gewerkschaften rufen außerdem alle Arbeitnehmer*innen zum “Mitdemonstrieren” auf. Der DGB erklärt: “Postet am 1. Mai einfach euren Kommentar, euer Foto oder euer Video mit dem Hashtag: #SolidarischNichtAlleine.”
“You’ll never walk alone”
Außerdem gibt es einen “virtuellen Chor”: Alle Teilnehmer*innen sollten dafür die bekannte Stadionhymne “You’ll never walk alone” singen und ein Video davon an den DGB schicken. Der bastelt daraus dann einen großen “Chor der Solidarität”. Auch ver.di hat seine Mitglieder dazu aufgefordert, politische Forderungen und Statements aufzuzeichnen und ihnen zuzuschicken. Im Laufe des 1. Mai werden die Videos dann gepostet. “Es ist ein schwacher Trost, aber wenigstens eine Möglichkeit, das Zusammenhalten sichtbar zu machen”, betont Hans Sterr, Pressesprecher von ver.di Bayern.
Neue Forderungen durch die Corona-Krise
Der Fokus der Gewerkschaften liegt in diesem Jahr hauptsächlich auf den Personengruppen, die von der Corona-Krise am härtesten getroffen wurden – Solo-Selbstständige, Fabrikarbeiter*innen, Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit und Familien mit kleinen Kindern. Für die IG Metall stehen dabei der Gesundheitsschutz und die Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen im Vordergrund: „Die Arbeitgeber haben die Verantwortung, die Arbeit so zu organisieren und technische Mittel so zu nutzen, dass die Abstands- und Hygieneanforderungen eingehalten werden”, fordert Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall.
Beispielsweise bei Erntehelfer*innen würden hygienische Standards vielerorts vollkommen vernachlässigt, kritisiert auch der DGB: „Arbeitsgruppen von bis zu 45 Personen, Unterbringung in voll ausgelasteten Mehrbettzimmern, Mund-Nasen-Masken meist Fehlanzeige… Es muss Schluss sein mit diesem verantwortungslosen Umgang mit ausländischen Erntehelfern”, urteilt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Diese Verantwortung könne nicht alleine den Landwirt*innen überlassen werden, da müsse die Politik ran.
Soforthilfen für Familien und Selbstständige
Kitas und Schulen sind geschlossen – das stellt Familien vor große Herausforderungen. „Zahlreiche Eltern berichten uns verzweifelt, dass sie nicht zurück an ihren Arbeitsplatz können, weil sie nicht wissen, wie sie die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen“, berichtet Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall. Selbst im Homeoffice funktioniere voll arbeiten und gleichzeitig Kinder betreuen nicht wirklich. Nötig seien flexible Arbeitszeitmodelle sowie eine Verlängerung und Erhöhung der für diese Fälle vorgesehenen Verdienstausfallentschädigung. „Wir müssen verhindern, dass berufstätige Mütter die Hauptlast der Corona-Krise tragen und vom Arbeitsmarkt verdrängt werden“, fordert Christian Benner. Sonst lasse die Krise alte Rollenbilder wieder aufleben.
Bei ver.di Bayern ist eine der größten “Baustellen” die Unterstützung der Solo-Selbstständigen. “Da sind viele dabei, die haben über Nacht einen Einkommenseinbruch von 100%. Und einer ganzen Wirtschaftsgruppe zu sagen, “Geht doch einfach in Hartz IV”, finden wir nicht vertretbar”, argumentiert Pressesprecher Hans Sterr.
Erfolge durch Corona
In Sachen Kurzarbeitergeld sind die Gewerkschaften mit dem getroffenen Kompromiss weitgehend zufrieden: „Angesichts des massiven Widerstands der Union und der Arbeitgeber sind die Ergebnisse zur Anhebung des Kurzarbeitergeldes ein Erfolg, für den sich die Gewerkschaften in den letzten Wochen stark gemacht haben“, sagt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Damit werden die Einkommensverluste der Beschäftigten in dieser schwierigen Zeit deutlich besser abgefedert. Trotz der tiefen wirtschaftlichen Krise und des kompletten Stillstands ganzer Branchen konnten Entlassungen bis heute weitgehend vermieden werden.