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Kommentar
Solidarität statt Wahlkampf
Am 13. Februar 2025 wurden Demonstrant:innen bei einer Kundgebung von ver.di in München mutmaßlich Ziel eines Anschlags. Ein Auto fuhr in die Menge der Menschen – 39 von ihnen wurden verletzt, teilweise schwer, zwei sind gestorben. Doch anstatt Solidarität und Mitgefühl für die Opfer zu zeigen, dreht sich alles fast ausschließlich um die Herkunft des Tatverdächtigen. Doch eine Fokussierung auf dessen Nationalität ist bedenklich, findet Jennifer Nagele. Ein Kommentar.
Politische Instrumentalisierung statt Mitgefühl
Markus Söder, Friedrich Merz, Alice Weidel und Co. – Sie alle hatten ihre Statements noch am selben Tag parat. Zwar sprechen sie auch Beileidsbekundungen und Genesungswünsche aus, doch der Schwerpunkt der Politiker:innen lag auf der afghanischen Herkunft des Tatverdächtigen. Bereits nach wenigen Stunden instrumentalisierten sie die Tat bereits für ihre eigenen politischen Zwecke: Ankündigungen von „konsequenten Abschiebungen”, große Versprechen von „besserer Sicherheitspolitik” und Aussagen von „Afghanen als Personengruppe mit der höchsten Kriminalitätsbelastung” machten schnell die Runde.
Diese Reaktionen sind kein Zufall – sie sind Teil einer politischen Agenda, von der sich Politiker:innen große Wahlerfolge versprechen. Es geht in großen Teilen nicht mehr um die Tat selbst, nicht um die Opfer und auch nicht um eine sachgerechte Aufarbeitung.
Am Übernehmen von Verantwortung und am Erarbeiten von konstruktiven Lösungsvorschlägen für die Gewaltprävention, was auch das Aufarbeiten von biografischen Hintergründen beim Umgang mit geflüchteten Menschen beinhalten könnte, mangelt es. Stattdessen schieben Politiker:innen die Verantwortung für mögliche Mitursachen aus politischen Entscheidungen von sich weg und stellen Menschen mit Migrationshintergrund unter Generalverdacht.
Verzerrte Wahrnehmung durch mediale Inszenierung
Doch nicht nur Poliker:innen, auch die Medien tragen ihren Teil dazu bei. In fast jeder Berichterstattung wird die Nationalität des Täters genannt – und das schon bevor gesicherte Kenntnisse und die einhergehende Relevanz für die Tat vorlagen. Natürlich kann die Herkunft eines Täters in manchen Kontexten eine wichtige Information sein, gerade vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses. Eine Abwägung darüber direkt nach einer Tat scheint allerdings selten stattzufinden.
Denn muss die Nationalität direkt nach der Tat schon Thema sein? Zu einem Zeitpunkt, an dem die Polizei gerade erst mit den Ermittlungen beginnt und noch kaum etwas gesichert ist – nicht einmal, ob eine Tat tatsächlich politisch, rechtsextrem, oder religiös motiviert war?
Bei einem deutschen Täter würde man wohl kaum sofort über die Kriminalitätsrate unter gleichaltrigen Deutschen sprechen. Doch wenn ein potenzieller Täter eine Einwanderungsgeschichte hat, wird seine Herkunft direkt zur Schlagzeile und zum zentralen Punkt einer Meldung oder eines Posts, häufig ohne dabei in den Kontext zu setzen, warum die Nationalität überhaupt eine Rolle spielen könnte.
Durch das Hervorheben der Herkunft in einzelnen Schlagzeilen oder Posts entsteht ein verzerrtes Bild. Es verstärkt rassistische Vorurteile und impliziert, dass Migration und Gewaltdelikte untrennbar voneinander gegeben sind. Das heizt die ohnehin zunehmende gesellschaftliche Spaltung weiter an.
Der Fokus muss auf den Opfern liegen
Ja, Gewalt muss aufgearbeitet werden. Gewalttaten müssen thematisiert und passende Präventionsmaßnahmen gefunden werden. Doch: Wer nur die Nationalität eines Tatverdächtigen in den Mittelpunkt rückt, statt sich mit den Opfern und ihren Schicksalen zu befassen, sorgt nicht für Aufklärung.
Es ist höchste Zeit, den Fokus dahin zu lenken, wo er hingehört: Zu den Menschen, die verletzt wurden, die jetzt im Krankenhaus liegen, die Angehörigen, die Angst haben und Unterstützung brauchen.
Wer einen mutmaßlichen Anschlag nur nutzt, um eine Debatte über Migration zu führen und dadurch auf Stimmenfang bei potenziellen Wähler:innen zu gehen, tritt diejenigen mit Füßen, die am meisten unter der Situation leiden.
Falls ihr euch mit Themen wie Anschlägen unwohl fühlt, ruft gerne bei der Telefonseelsorge an – Die Nummer lautet: 0800 1110111. Alternativ könnt ihr gerne auch auf ihrer Website www.telefonseelsorge.de vorbeischauen.