Filmschoolfest 2018
So starten Regie-Genies
Zum 38. Mal hat das FILMSCHOOLFEST München den Regie-Nachwuchs aus aller Welt dazu eingeladen, sein Werk vor einem großen Publikum zu präsentieren.
Innerhalb von nur sechs Tagen liefen 46 Kurzfilme aus 19 Ländern über die Leinwand des Filmmuseums. Dabei waren die Geschichten so unterschiedlich wie ihre Regisseure. Wir haben einmal unsere persönlichen Lieblinge aus dem diesjährigen Programm heraus gepickt, damit ihr wisst, wer die Oscar-Gewinner von morgen sind.
The Beetle at the End of the Street (Spanien)
Eine ganz kuriose Mischung aus Horror und Komödie ist
The Beetle at the End of the Street, vor allem aber ist er eine herrlich absurde Liebeserklärung an Valencia, die Heimat von Regisseur Joan Vives. Die Besetzung besteht zum großen Teil aus Dorfbewohnern, die er während der Dreharbeiten mit kostenloser Paella auf die Straße gelockt hat. Zum Nachtisch gab’s ein paar Happen Dialog, über die Fischerstochter, die vom Geist des frisch geköpften Aals besessen wird und in dämonischer Stimme à la Der Exorzist verkündet, Amadeo würde in einer Woche sterben. Die üblichen Dorfgeschichten also.
Was folgt, ist Amadeos Odyssee durch die vermeintlich letzten Tage seines Lebens – untermalt mit traditioneller Musik, die zum Schunkeln einlädt, und dennoch ständig begleitet vom Aas fressenden Monsterkäfer, der nur auf sein Ableben wartet. Das klingt zwar, als würde es überhaupt nicht zusammen passen, wird von Vives aber derart charmant (und mit konstantem Augenzwinkern) miteinander verwoben, dass alle Genre-Grenzen schnell vergessen sind und man als Zuschauer nur unweigerlich lacht, selbst wenn man sich dabei gleichzeitig fragt, ob man darüber überhaupt lachen sollte. Ein Gute-Laune-Film über das Sterben: imposant. nc
Captain (Israel)
Der Kurzfilm von Regisseur Tommy Shles Shafrir thematisiert nicht nur ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Erwachsenen, der als Vaterfigur agiert, sondern geht einen Schritt weiter – und zeigt dabei in schockierender Weise, wie eine solche Dynamik zu sexuellem Missbrauch führen kann. Omri ist 13 Jahre alt, seine Mutter ist meist unterwegs und tritt innerhalb des Films nur als ferne Stimme am Telefon auf. Auch Omris richtiger Vater ist abwesend. Stattdessen folgen wir dem Jungen in den zwölf Minuten Kurzfilm zum Basketball-Training. Dort, wo er der Chef ist, der Kapitän. Und wo seine wahre Bezugsperson wartet, der Trainer der Mannschaft.
Was während dem Film zwischen Coach und Kind hinter verschlossenen Türen geschieht, wird nicht gezeigt. Der Kontext und die Dialoge der beiden lassen jedoch kaum eine andere Erklärung als die eines sexuellen Abhängigkeitsverhältnisses. Vielleicht ist der Film gerade deswegen so berührend, so roh und brutal, weil Regisseur Tommy Shles Shafrir mit seinen eigenen Kindheitserfahrungen arbeitet. Sowohl Schauspieler als auch die Kamera, die gekonnt Gesichtsausdrücke wie Wut, Schmerz, Beleidigung und Frustration einfängt, machen 12 Minuten Captain zu einem intensiven und eindrucksvollen Seherlebnis. ah
Eyes Shut (Belgien)
Émile bekommt keine Luft mehr. Das liegt daran, dass er sich schon seit fünf Minuten unter Wasser befindet und das Luftanhalten Teil seines Tauchtrainings ist. Die Mutter von Émile bekommt auch keine Luft mehr. Bei ihr liegt es jedoch daran, dass sie krank ist. Sie hat Krebs. Wie lange sie noch zu leben hat, weiß sie nicht. Trotzdem lacht sie viel, spielt auf der Gitarre, schaut ihrem Sohn beim Üben zu.
Behutsam und gleichzeitig kraftvoll erzählt Regisseur Léopold Legrand die Geschichte eines Sohnes und seiner Mutter, die sich beide ihren ganz persönlichen Kämpfen stellen müssen. Dabei wählt er schöne Bildausschnitte aus ungewöhnlichen Perspektiven und eine starke Symbolik, die den Kampf um den Sauerstoff gut verdeutlicht: Das Ausgehen der Luft wird durch hungrige Wölfe versinnbildlicht, die in einem leeren Tauchbecken langsam und bedrohlich auf Émile zukommen, immer bereit zum Sprung. Erst als die Mutter an seiner Seite erscheint, sieht es so aus, als könnten die beiden die angriffslustigen Tiere vertreiben. Doch auch die Anwesenheit der Mutter ist fragil, fast scheint sie schon in eine andere Welt verschwunden zu sein. Eyes shut schafft es, rücksichtsvoll und bedacht eine Geschichte über Krankheit, innere Kämpfe, Selbstüberwindung und liebevolle Verbundenheit zwischen zwei Menschen zu erzählen und dabei den richtigen Ton zu treffen. jrl
Facing It (Vereinigtes Königreich)
Als Kind wird man von vielem beeinflusst, doch von nichts so sehr, wie von den eigenen Eltern. So geht es auch Sean: Er sitzt alleine in einem Pub und denkt traurig zurück an seine Kindheit. Klingt jetzt eher nach ner 0815-Story. Die ist es aber nicht, denn dieser britische Kurzfilm kommt 1.) ohne Dialog aus und 2.) mit einer ganz besonderen Art auf die Leinwand.
Regisseur Sam Gainsborough nutzt in Facing It eine Mischung aus realen Gegenständen und knetmasseartigen animierten Menschen, um die Gefühle und Regungen und Probleme von Sean und seiner Umwelt auf den Zuschauer zu übertragen. Immer wenn der schüchterne Sean all seine Kraft zusammen nimmt, um Leute anzusprechen, halten ihm Hände den Mund zu, fällt sein Mund auf den Boden oder holt ihn seine Vergangenheit ein. Hinzu kommt, dass Dialoge komplett wegfallen oder bis zur Unverständlichkeit verfremdet sind. So bleibt der Fokus noch mehr auf den eindrucksvollen Bildern und Metaphern, die am Ende zum Nachdenken anregen. Auch führt die Darstellung durch Knetmasse dazu, dass sich jeder mit Sean identifizieren kann – weil er niemandem und somit gleichzeitig jedem ähnlich sieht. jrt
Rose Garden (Finnland)
Die fiktionale Komödie von Regisseur Hannu Pekka-Peltomaa gibt uns einen Vorgeschmack auf die möglichen letzten Jahre unseres Lebens im Altersheim. Der Titel Rose Garden kreiert das Bild eines schönen, angenehmen und würdevollen Ortes, um seinen Lebensabend zu verbringen. Die darauffolgenden 21 Minuten Film könnten dieses Bild nicht stärker zerstören.
Mit viel schwarzem Humor werden uns Einblicke in eine erschreckend traurige Realität gegeben. Drei Senioren beschließen daher, aus dieser Hölle auszubrechen, und planen einen Mord, um vom Altersheim ins Gefängnis umziehen zu dürfen. Wie sie dies inmitten von senilen Mitbewohnern und überforderten Pflegern anstellen, wird von Pelotmaa grandios dargestellt. Er bedient sich der unbeschönigten Darstellung der Wirklichkeit und schafft somit ein beängstigend nahegehendes Kinoerlebnis. Den Witz liefern die Situationen der Szenen damit also von selbst, ohne sich über die Senioren in irgendeiner Weise lustig zu machen. Sicherlich wirft Rose Garden Kontroversen auf, verpackt diese jedoch so gut mit Humor, dass wir bereitwillig über unsere eigene Zukunft nachdenken. am
Schoolyard Blues (Schweden)
Es gibt eine Schultüte mit jede Menge Süßigkeiten, Oma und Opa sind extra gekommen und mittags gibt es mit der ganzen Familie Kuchen. So ungefähr kann man sich den typischen ersten Schultag vorstellen. Für den 6-jährigen John sieht dieser Tag aber nicht ganz so harmonisch aus. Denn er und sein großer Bruder Mika sind Teil einer Randgesellschaft. Einen festen Wohnsitz haben sie nicht, Schulsachen für John klaut Mika aus dem Supermarkt und seine Haare muss er in einem öffentlichen Klo waschen.
Die Regisseurin Maria Eriksson schafft es, sensibel und bildgewaltig die liebevolle Beziehung zwischen den an der Armutsgrenze lebenden Brüdern darzustellen. Die grün gesättigten Aufnahmen eines schwedischen und eigentlich perfekt gepflegten Vorortes stehen im Kontrast zu den verwahrlosten Kindern und unterstreichen ihre Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft. Aber besonders die Darstellung der Beziehung zwischen den Brüdern macht Erikssons Film so eindrucksvoll. Zwar kümmert sich Mika liebevoll und schon fast wie ein Erwachsener um seinen kleinen Bruder, bricht aber unter der Verantwortung und Überforderung beinahe zusammen. Nur die grenzenlose Liebe zu und von John lässt ihn durchhalten. Und genau diese Liebe ist es, die Eriksson mit ihren Bildern spürbar macht und mit Schoolyard Blues einen der emotionalsten Filme des Filmschoolfests liefert. nm
Sons of No One (Belgien)
Klassischerweise würde man im Gefängnis klare Rollenverteilungen erwarten: Die hinter Gittern sind die mit Dreck am Stecken, und die in Uniform sind zuständig für Recht und Ordnung. Dass die Grenzen in der Realität selten so klar verlaufen, zeigt Sons of No One in den vielen feinen Grautönen zwischen Schwarz und Weiß. Denn in einem Gefängnis voller Jugendlicher liegen für Lehrerin Eva Rehabilitationsauftrag und Muttergefühle ganz eng beieinander.
Regisseur Hans Vannetelbosch setzt den Fokus auf die Mimik seiner Figuren, allesamt auf eine derart authentische Weise verkörpert, dass sie wie aus dem Leben gegriffen wirken, der komplette Film fast schon dokumentarisch. Das ist sicherlich nicht zuletzt seiner ausführlichen Recherche in belgischen Gefängnissen geschuldet. Mit Dialogen, die Frustration und Angst ebenso gut transportieren können wie das bisschen Alltagshumor, das in einem solchen Setting zum Überleben nötig ist, und einem sparsam, aber bewusst eingesetzten Soundtrack gelingt Vannetelbosch ein beeindruckender Kurzfilm, der Machtmissbrauch thematisiert, ohne pathetisch zu werden. nc
Unser Interview mit Hans Vannetelbosch könnt ihr hier nachhören.
Texte von Amelie Hörger, Antonia Mann, Janina Rohleder, Jan Rothe und Nina Mohs.