Kommentar
Schulöffnungen? Ja, aber bitte richtig!
Zusammen mit zehn weiteren Bundesländern haben in Bayern diese Woche wieder die ersten Grundschulen Kinder unterrichten dürfen. Gerade für die psychische Gesundheit von Schüler:innen ist das wichtig. Aber die darf auch bei offenen Schulen nicht zu kurz kommen, kommentiert Sebastian Bergsteiner.
Am Montag konnten die ersten bayerischen Schüler:innen wieder ihre Taschen packen. Das ist grundsätzlich eine gute Nachricht. Kinder in wichtigen Entwicklungsphasen ohne soziale Kontakte verkümmern zu lassen, ist ein unerträglicher Zustand, der nur das allerletzte Mittel zur Einschränkung des Infektionsgeschehens bleiben darf.
Der digitale Distanzunterricht hat sich nicht als befriedigende Zwischenlösung erwiesen. Zu schlecht ausgestattet sind die Schulen mit technischen Ressourcen wie einheitlicher funktionierender Lernplattform und digitaler Kompetenz der Lehrer:innen. So weitet sich die Spannweite zwischen guten und abgehängten Schüler:innen.
Dass der Präsenzunterricht schrittweise wieder zurückkehrt, ist deswegen richtig und wichtig und wurde zurecht auch mit dem Hinweis auf psychische Probleme im Distanzunterricht begründet. Doch gerade durch die Öffnungen können neue psychische Belastungen dazu kommen.
Die Prüfungsmaschinerie läuft weiter
Statt besonders den sozial benachteiligten Schüler:innen Zeit für das gründliche Nacharbeiten entstandener Lücken zuzugestehen, läuft die Prüfungsmaschinerie direkt wieder an.
Mit dem wiederkehrenden Distanzunterricht sind nun auch schriftliche Leistungsnachweise wieder erlaubt. Außerdem haben Schüler:innen der vierten Klasse als Reaktion auf die aktuelle Situation jetzt nur noch 14 statt 18 Probearbeiten zu schreiben – ein Missverhältnis zwischen verloren gegangenem Unterricht und Prüfungsdruck. Der Übertritt wird großzügigerweise vom 3. auf Mai 2021 verlegt. Die Abiturprüfungen wiederum finden wie in jedem anderen Jahr statt. Statt sich auf das gründliche Nacharbeiten des Lernstoffes konzentrieren zu können, kann anscheinend nicht mal in einer Ausnahmesituation wie einer Pandemie das Lernen vor dem Wiederkäuen und Ausspucken stehen.
Die Politik muss auf die Sondersituation einer Pandemie und deren Auswirkungen auf Schulleistungen Rücksicht nehmen. Sei es durch das Reduzieren von Prüfungen oder einer Verlängerung des Schuljahres bis Weihnachten 2021.
Schüler:innen sind erhöhter Ansteckungsgefahr ausgesetzt
Doch nicht nur psychisch, auch physisch kehren die Schüler in ein pandemisches Minenfeld zurück. Eine Studie der TU Berlin sagt bei einem halb belegten Klassenzimmer einen situationsbedingten R-Wert von 2,9 voraus.
Ansteckungen sind für Schüler:innen nicht unwahrscheinlich und das ist auch eine psychische Belastung – gerade für Kinder, die unbedingt vermeiden wollen, Verwandte, die Teil der Risikogruppe sind, zu gefährden.
Es braucht besseren Infektionsschutz und angepasste Lehrpläne
Schulöffnungen sind der richtige Schritt, um Kinder vor sozialer Isolation zu schützen.
Doch es braucht besseren Schutz vor Ansteckungen durch Schnelltests, Lüftungsanlagen und angepasste Lehrpläne. Sonst entsteht der Eindruck, man öffne, nur um ein marodes Schulsystem am Laufen zu halten, nicht um der Kinder willen.