Presserecht
Privatsphäre vs. Öffentlichkeit
Ein roter Teppich, Bundeskanzlerin Angela Merkel, neben ihr der finnische Ministerpräsident Antti Rinne. Die deutsche Nationalhymne ertönt und wie auf Kommando zittert die Kanzlerin am ganzen Körper. Die Kamera zoomt heran und in Großaufnahme sieht man das angespannte Gesicht der 64-Jährigen. Ihr Blick ist starr nach vorne gerichtet, immer wieder sieht man sie etwas zu sich selbst sagen. Ihre Lippen formen immer und immer wieder die gleichen Worte.
Nur zehn Minuten nach der Veröffentlichung des Videos gibt es Berichte von Lippenlesern, die meinen, die Worte „ich schaffe das“ zu erkennen. Experten, die glauben, bestimmte Krankheitsbilder bei Merkel erkennen zu können, melden sich zu Wort. Sowohl Merkel selbst, als auch ihre Pressesprecher erklären nur wenige Minuten nach Ausstrahlung des Videos, ihr gehe es gut. Das interessiert zu diesem Zeitpunkt aber kaum jemanden mehr. Auf Twitter werden erste Stimmen laut, die diese Art von Berichterstattung kritisieren. Haben sie recht?
Art. 1 (1) GG
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 1 des Grundgesetzes gilt ausnahmslos für alle. Sobald es sich um einen Promi handelt, verschieben sich die Grenzen des Unantastbaren. Wann wird die Würde von Personen des öffentlichen Lebens „angetastet“? Wenn Reporter die Nachbarn bestechen, um an Informationen zu kommen? Wenn über den gesundheitlichen Zustand von schwerverletzten Sportlern spekuliert wird? Wenn Manager über Klinikaufenthalte ihrer Klienten sprechen? Wenn Kinder von Prominenten auf der Straße fotografiert werden?
Promistatus?
Ab wann der Begriff „Person des öffentlichen Lebens“ angewendet werden darf, ist rechtlich nicht genau festgelegt. Grundsätzlich gilt aber: Wer in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgt und für wen sich die Öffentlichkeit interessiert, der ist eine Person des öffentlichen Lebens. Das gilt On- und Offline gleichermaßen.
Die Sphären des Privatlebens
Die meisten Prominenten leben davon, in der Öffentlichkeit zu stehen. Die einen verdienen ihr Geld durch die geschickte Vermarktung des Privatlebens in TV-Shows, die anderen teilen ihren Tag in ihrer Instagram-Story. Trotzdem haben alle ein Recht auf Privatsphäre. Wo die aber im Einzelfall anfängt und aufhört, wird in der Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts festgelegt. Unterschieden wird zwischen Intimsphäre, Privatsphäre und Sozialsphäre. Jede einzelne dieser Sphären schützt das private Leben mit unterschiedlicher Stärke.
- Die Sozialsphäre umfasst das komplette Leben in der Öffentlichkeit und lässt hierbei grundsätzlich Eingriffe durch Fotos, Berichterstattungen und Videos zu. Das betrifft beispielsweise öffentliche Auftritte, Fernsehauftritte und rote Teppiche.
- Die Intimsphäre schützt die Gedanken- und Gefühlswelt und die Sexualität und erlaubt grundsätzlich gar keine Eingriffe.
- Die Privatsphäre betrifft das persönliche Leben, die Familie und das Zuhause. Hier muss individuell entschieden werden, ob ein Eingriff im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt. Dabei spielt die persönliche Haltung der prominenten Person auch eine große Rolle.
Welches Recht haben Journalisten?
Die Pressefreiheit (Art. 5 GG) besitzt in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Jeder Journalist darf im ersten Schritt recherchieren und schreiben, was er möchte. Je mehr er damit aber in die Privatsphäre von Prominenten eindringt, desto höher ist das Risiko, rechtlich dafür belangt zu werden. Bei Bildmaterial sollte außerdem geprüft werden, ob es nach § 23 KUG verbreitet werden darf. Für die Presse gilt, dass „Personen aus der Zeitgeschichte“ grundsätzlich abgebildet werden dürfen. Allerdings steht dabei im Vordergrund, ob ein öffentlich berechtigtes Interesse an dem Foto besteht.
Das heißt?
Wenn eine Spitzenpolitikerin zum Beispiel mit verfassungsfeindlichen Gruppierungen sympathisiert, sollte das in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Wenn Missbrauchsvorwürfe um einen Musiker laut werden, wollen die meisten Fans das auch wissen, bevor sie ihn unterstützen. Namen der Kinder, die persönliche Anschrift und private Beziehungen stehen unter Schutz. Sollten Prominente solche Daten selbst veröffentlichen, haben sie diesbezüglich auch keinen Anspruch auf Rechtsschutz mehr.
Der Fall Merkel
Da alle drei Zitteranfälle der Bundeskanzlerin auf offiziellen Veranstaltungen stattgefunden haben, darf das entsprechende Bildmaterial ohne Zensur und Einschränkungen verbreitet werden. Merkel ist eine Person des öffentlichen Lebens und das Interesse an ihrer Gesundheit deshalb kein Fall für die Intimsphäre. Sollte die Kanzlerin ernsthaft krank sein und ihr Regierungsamt nicht mehr ausüben können, müssen die Presse und Öffentlichkeit darüber unterrichtet werden. Solange die 64-Jährige aber ihre Gesundheit beteuert, muss diese Information akzeptiert werden.