Filmklassiker der Woche
Primer
Viele Entdeckungen entstehen gar nicht gewollt, sondern durch kompletten Zufall, wie beispielsweise die von Penicillin. Oder die Entdeckung von Zeitreisen. Zugegebenermaßen: Das echte Leben hinkt in puncto Zeitreisen der Fiktion noch hinerher, Shane Carruths Primer zeigt aber überzeugend, wie eine solche Entdeckung in der Realität aussehen könnte.
Eigentlich wollen die Ingenieure Abe und Aaron in ihrer Garage eine Maschine zur Reduzierung der Masse von Objekten erschaffen. Ein hochgestecktes Ziel, das scheitert – aber nicht auf die Art und Weise, wie sich die beiden das vorstellen könnten. Auf die Masse der Objekte hat die Erfindung zwar auch eine Wirkung, viel beeindruckender ist aber ein Pilz, den die beiden in der Maschine finden. In einer Untersuchung wird klar: Der Pilz ist viel älter als die Maschine selbst. Die beiden Ingenieure schließen daraus, dass sie in ihrer Garage eine Zeitmaschine gebaut haben – durch puren Zufall. So fassen sich Abe und Aaron das Ziel dank ihrer Erfindung schnell an Geld zu kommen, doch schnell offenbart sich, dass der Bereicherungswunsch nicht die einzige Motivation der beiden ist.
Ein-Mann-Show für 7.000 Dollar
Wie eine Garagenerfindung mutet auch das Erstlingswerk von Shane Carruth an. Neben der Regie übernahm der damals 32-Jährige auch die Produktion, das Drehbuch, den Schnitt, die Filmmusik und die Hauptrolle – der Science-Fiction-Film ist also nahezu eine Ein-Mann-Show. Zudem arbeitete Carruth mit einem stark begrenzten Budget: Lediglich 7.000 Dollar kostete die Produktion des Films. Das Kleinstbudget macht sich dabei deutlich bemerkbar. Die Bildqualität ist vor allem bei Nachtszenen zum Teil stark grobkörnig, auch die Requisiten wirken stark alltäglich. Doch das kleine Budget macht auch den besonderen Charme von Primer aus. Der Film ist kein Hochglanz-CGI-Fest, sondern orientiert sich stark an der sich selbst auferlegten internen Logik der Zeitreisen und beleuchtet realistisch ihre mögliche Umsetzung und Folgen.
Zum realistischen Bild des Films trägt auch die deutliche Entscheidung des Regisseurs bei, Dialoge nicht für die Zuschauer*innen zu vereinfachen. Gerade zu Beginn werfen die Figuren mit Fachbegriffen aus den Naturwissenschaften förmlich um sich. Für die fachliche Richtigkeit sorgt der Hintergrund des Regisseurs. Carruth selber ist studierter Mathematiker, belegte während der Produktion des Films auch Vorlesungen in Physik. Sein Fachwissen gibt Carruth ungefiltert ans Publikum weiter – wohlwissend, dass ohne Vereinfachungen manche Zuschauer*innen bereits nach zehn Minuten aussteigen werden.
Kultstatus dank Komplexität
Ebenso wenig hilft die Erzählstruktur des Films für die Orientierung in der Handlung. Carruth arbeitet mit mehreren Zeitebenen und Timelines, die teilweise ineinander verschachtelt sind. Zudem erzählt er einige Szenen auch als Flashbacks, einige Sachverhalte werden nicht auf der Leinwand gezeigt und werden nur aus dem Kontext erschlossen. Ein komplettes Verständnis des Films ist beim ersten Ansehen unmöglich. Doch genau diese Komplexität zeichnet Primer unter allen Zeitreisenfilmen aus – ohne hätte der Film wahrscheinlich nicht Kultstatus erlangt.
Es scheint als hätte Shane Carruth Primer also absichtlich darauf ausgelegt, ihn mehrfach sehen zu müssen. Dazu trägt auch die Laufzeit bei: Mit 77 Minuten ist der Spielfilm kaum länger als eine Serienfolge – optimal, wenn man spontan einen Film sehen will. Noch besser ist es aber gleich 154 oder 231 Minuten einzuplanen. Mit Primer verhält es sich nämlich ein wenig wie mit Zeitreiseschleifen: Mit jedem Durchlauf versteht man das zugrundeliegende Konzept ein wenig besser.
Primer ist noch bis zum 18. August auf Mubi zu sehen. Für Studenten ist der Streamingdienst kostenlos.