Serienkritik
Pretend It’s a City
Fran Lebowitz ist eine Schriftstellerin, die nicht schreibt. Ihre seit Jahrzehnten andauernde Schreibblockade ist legendär. Ihr Geld verdient sie als Public Speaker: Sie kommentiert das Zeitgeschehen mit trockenem Humor und sarkastischem Scharfsinn. Martin Scorsese setzt ihr und New York in der Doku-Serie Pretend It’s a City ein Denkmal.
Fran Lebowitz ist das, was man einen schillernden Charakter nennt. Ihre Schlagfertigkeit ist legendär. Selbstsicher und selbstironisch zugleich ist sie unfreiwillig zu einer New Yorker Stilikone geworden. Ihre Uniform aus Hornbrille, Jeans, Herrenhemd und maßgeschneidertem Sakko hat einen hohen Wiedererkennungswert. Und sie setzt damit ein Statement: Immerhin ist sie die einzige weibliche Kundin eines Savile-Row-Schneiders, der für Fred Astaire, Prince Charles und Tom Ford gearbeitet hat.
Martin Scorsese plaudert mit seiner guten Freundin
Martin Scorsese mit seinen zig Oscarnominierungen dreht hier vor allem zu seinem persönlichen Vergnügen. Er unterhält sich mit seiner guten Freundin Fran über die Stadt, in der sie beide leben und die beide zugleich lieben und hassen. Er ist vor allem Stichwortgeber, sein Lachen zieht sich durch alle sieben Episoden der Mini-Serie. Mitlachen ist einfach, weil Lebowitz es versteht, ernste Themen mit ihrem bissigen Witz unterhaltsam zu analysieren. Sie hat zu allem eine Meinung: New Yorker Bürgermeister (sollte ein Time-Sharing-Job sein), Sport (interessiert sie nur, wenn das Publikum gut gekleidet ist), Geld (hasst sie), E-Zigaretten (schlechter als echte, dämpfen in Nichtraucherzonen aber ihre Mordlust). Bevorzugt spricht sie über Bücher. Mehr als 10 000 Stück besitzt sie und würde am liebsten ihre gesamte Zeit mit Lesen verbringen. Darum versteht sie nicht, warum sich jüngere Leser:innen nicht in den Geschichten wiederfinden: “Ein Buch soll kein Spiegel sein. Ein Buch soll eine Tür sein!”
Eine New Yorker Ikone
Mit ihren 70 Jahren ist Fran eine Zeitgenossin Donald Trumps. Allerdings stellt sie eine völlig andere Art einer New Yorker Ikone dar. Seit den frühen 1970er Jahren ist sie Teil der Künstlerszene. Ehe sie für das Magazin Interview von Andy Warhol arbeitet (den sie übrigens nicht besonders sympathisch fand, was auf Gegenseitigkeit beruhte), verdient die lesbische Schulabbrecherin ihr Geld als Putzfrau und Taxifahrerin. Kellnern kam für sie nie in Frage, wie sie erzählt: Die meisten ihrer Freundinnen mussten erst auf die Besetzungscouch, ehe sie eine Schicht in einem Restaurant ergattern konnten. Diese Erfahrung prägte Lebowitz. Nie hätte sie geglaubt, dass die Me Too-Bewegung etwas verändern könnte, sagt sie: “Die Situation war für Frauen immer die selbe, seit Eva bis vor etwa acht Monaten.”
Die Serie ist ein Nachfolger von Public Speaking, einer HBO-Dokumentation aus dem Jahr 2010, für die ebenfalls Martin Scorsese verantwortlich war. In Pretend It’s a City mischt er Lebowitz-Interviews (die auch Alec Baldwin, Spike Lee und Olivia Wilde führen) mit Archivaufnahmen und Ausschnitten alter Filme. Zwischendurch lässt er seine Protagonistin durch Manhattan spazieren. Das vermittelt den Charme New Yorks, ohne Sentimentalität oder Verbitterung. Dass sich alles verändert, wird nur scheinbar beklagt. Die Stadt, die niemals schläft, muss sich schließlich ständig wandeln, um sie selbst zu bleiben.
Pretend It’s A City ist bei Netflix im Stream abrufbar.