M94.5 Filmkritik
Pokémon Go im Kino
Eddie Redmayne begibt sich ab dieser Woche im Harry-Potter-Prequel „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ auf Monsterjagd.
Ein junger Mann, mitten im munteren Treiben der Großstadt, rennt blindlings und ohne Rücksicht auf Passanten einem kleinen, fliehenden Monster hinterher. So weit, so bekannt. Aber in seiner Hand ist kein iPhone mit Extra-Akku – sondern der Zauberstab. Denn irgendwo im New York der 1920er ist Newt Scamander sein Koffer voller Magiewesen abhanden gekommen. Blöd nur, dass die jetzt die Stadt voller Muggel ins Chaos stürzen und die Geheimhaltung der magischen Welt gefährden. Und damit trampelt es los, das vorhersehbare Abenteuer am Rande des Harry-Potter-Universums.
Diagnose: Trilogie
Der schönste Teil zuerst: Dieser Film ist keine Fanfiction, sondern pures Original aus der Feder von J.K. Rowling höchstpersönlich. Mit Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind wird die altbekannte Welt der Magie erweitert auf die USA – neue Ära, neue Charaktere und neues Magie-Wissen, auf das sich die Potter-Fans stürzen können.
Leider bedeutet das auch unheimlich viel Exposition, unter der vor allem zu Beginn des Films die Handlung in der Weise leidet, wie man es schon von den ersten beiden Potter-Filmen kennt. Phantastische Tierwesen kränkelt ganz klar an Trilogitis: Diesem Teil sollen weitere zwei (Anm. d. Red.: inzwischen vier!) Filme folgen, um den boomenden Potter-Franchise zu erweitern und Warner Bros. noch ein klein wenig mehr Geld in die großen Taschen zu spielen. So dient dieser erste Teil lediglich der Einführung der Charaktere und des neuen Settings, es fehlt ihm jedoch gehörig an Substanz und trotz der zwei Stunden Laufzeit kommt kaum Schwung in die Handlung, die Figuren wirken flach, der angebrochene Plot unausgegoren und kaum der Rede wert.
Auch ein Redmayne kann nicht alles retten
Nun ist Newt Scamander für echte Potter-Fans ja kein unbeschriebenes Blatt: Als Autor magischer Literatur für das Hogwarts-Schulfach „Pflege magischer Geschöpfe“ ist er nicht nur anerkannter Fabelwesen-Forscher (seinem Bestseller-Titel entspringt auch der Titel dieses Films), ihm wurde sogar die Ehre zuteil, als Sammelkarte in Schokoladenfrosch-Packungen aufzutauchen. Diese wunderbar schrullige Figur ist es also, die wir nun begleiten dürfen – frisch, jung, auf seiner Forschungsreise um die Welt, nachdem er wegen seiner gefährlichen Haustiere von Hogwarts geflogen ist. Ein sympathischer Herr, möchte man meinen.
Tatsächlich kommt selbst Publikums- und Oscar-Liebling Redmayne nicht gut weg mit seiner Rolle. Film-Scamander ist schwer in Worte zu fassen, weil seine Leinwandpräsenz so nichtssagend ist: Er mag magische Wesen, okay. Er mag sie sogar lieber als Menschen. Er wechselt nicht oft den Gesichtsausdruck. Und das war’s im Prinzip.
Rundliche Figuren: check – runde Figuren: keine
Auch den weiblichen Rollen im Film fehlt es an Kraft. Einmal ist da die Präsidentin des amerikanischen Zaubereiministeriums MACUSA (Magical Congress of the United States of America) – die ist nicht nur eine Frau, sondern auch noch Afroamerikanerin und trägt einen Turban! Abgesehen davon geht sie aber als Vorzeige-Minorität völlig am Rand unter. Auch die restlichen weiblichen Charaktere dürfen vor allem Accessoires für die Männer spielen, denn selbst ein Film über magische Wesen auf der Flucht in New York darf offenbar nicht ohne eine absolut unnötige Liebesgeschichte auskommen.
Da die Hauptcharaktere derart unbeeindruckend bleiben, sind es vielmehr die Nebenfiguren, die hervorstechen. Allen voran Ezra Miller als misshandelter Muggeljunge mit ungeahnten Fähigkeiten, sowie Colin Farrell als düsterer Ermittler des MACUSA. Denn: Es ist etwas gehörig faul in der magischen Welt. Zwischen ordentlich Slapstick, Monsterjagd und relativ einfachem Humor soll die Story nämlich nicht nur als Familienfilm herhalten, sondern es droht auch der alte Konflikt zwischen Magiern und Muggeln (oder Non-Maj, wie die Amerikaner sagen). Diskriminierung und Rassismus kommen auf. Eine Balance sucht das Drehbuch vergeblich. Aber immerhin, auf den dicken, tollpatschigen Muggel als ewige Witzquelle ist Verlass!
Ein Film für alle und niemanden
Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind ist so gemacht, dass ihn wirklich jeder sehen und ohne Probleme verstehen kann, selbst wenn man aus irgendeinem wahnwitzigen Grund zuvor noch nie auch nur ein Wort von Harry Potter gehört hat. Die Frage ist: Wieso? Macht das Sinn? Gibt es wirklich nicht genug Fans auf der Welt, die wirtschaftlichen Erfolg für einen solchen Film garantieren würden? Statt einer Expansion der liebevoll gestalteten, tief ins Herz geschlossenen Welt, die Potter-Leser und -Zuschauer so zu schätzen wissen, gibt es ein paar bekannte Zaubersprüche und die fast schon einer Checkliste anmutende Erwähnung von Dumbledore, Lestrange, Grindelwald am Rande – mehr aber auch nicht.
So ist eine Geschichte entstanden, die weder Liebhaber noch Neulinge begeistern wird. Phantastische Tierwesen ist bei Weitem kein schlechter Film: Er ist leicht verdaulich, verlangt dem Zuschauer nicht viel ab und versetzt ihn zurück in diese unverwechselbar magische Atmosphäre, allein schon dank der vertrauten Titelmelodie. Aber ignoriert man den Nostalgie-Faktor, so bleibt eine substanzlose Handlung mit viel Action, Farbe und CGI, aber wenig Herzblut. Es bleibt allein die Hoffnung, dass damit nun immerhin die Welt und ihre Charaktere hinreichend eingeführt sind und der nächste Film dann wirklich, wirklich besser wird. Selbst wenn Johnny Depp darin auch auftaucht.
„Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ läuft ab dem 17. November 2016 in den deutschen Kinos.