PLATTE DES MONATS: NOVEMBER '21
Peter Talisman – Lord of the Harvest
Als würde man über den Gartenzaun klettern und den fallenden Blättern des Waldes hinter dem Haus folgen. So klingt das neue Album Lord of the Harvest von Peter Talisman. Das Folktronica-Künstler-Duo schafft mit den zwölf Songs eine Geschichte, ein Prisma an unterschiedlichsten Klängen, die scheinbar um die Aufmerksamkeit der Zuhörer:innen spielen, oft widersprüchlich und interessant.
Who’s Talisman?
Peter Talisman ist ein musikalisches Gemeinschaftsprojekt bestehend aus Slugabed und Samuel Organ, dass sich undurchsichtig, herbstlich und mysteriös präsentiert. Lord of the Harvest wurde im Rahmen einer Crowdfund-Kampagne, zu der Organ auf Instagram aufrief, auf Vinyl veröffentlicht.
Explore the Unknown
Im Verlauf des Albums werden die Songs lebendiger und aktivierender, der Beat direkter. Dann fallen sie wieder in eine schimmernd, knisternde Ruhe zurück, die immer neue, unerwartete Klänge hervorbringt. Schon die Titel “Prelude – A Difficult Fog Descends On The Land” oder “Outro, Show’s Over, Game Over, We Failed, The End” lassen erahnen, dass man sich auf eine “Over the Gardenwall” ähnliche Reise begibt. Diese ist gut produziert mit Liebe zum Detail sorgfältig zusammengestellt, atmosphärisch.
Das Konzept dahinter
Das Motiv der Reise findet sich auch im incremental game, das vom Album begleitet und von Ben West und Joseph Pleass produziert wurde. Genauso wie das Spiel, will Talisman ein übergreifendes Konzept für die Musik. Allerdings scheint sie gerade deshalb immer gespalten zwischen Erforschung der mysteriösen Welt und dem Fokus auf den Klängen. Das macht das Album klanglich abstrakter, weltfremder. Die Songs schwanken zwischen Soundtrack-feeling und Künstlern, die die Möglichkeiten des Studios auslotet. Denn technisch passiert eine Menge zwischen Programmierung, Vintage-Geräten und modernsten Technologien. Das lässt die Songs profitieren, die oft der Gefahr ausgesetzt werden in einer Unklarheit zu versinken.
Zwischen Horror und Herbst
Folk-Gitarren-Fingerpicking, Ambient-Vocals und klares Vogelzwitscher, das in Nebel zu verschwimmen scheint -Talisman stellt die Zufriedenheit eines amerikanischen Herbsttages dar. Das Künstler-Duo schafft eine Spannung zwischen unbeschwerter Seeligkeit und unheimlicher abenteuerlicher Ungewissheit. Diese entsteht in abstrakten, elektronischen Texturen aus Post-Dubstep, Vocoder-manipulierten Vocals, aufgerautem Home-Spun und white noise. Ein Zusammenleben, das es sich erlaubt die Zuhörer:innen immer wieder zu überraschen.
Das Vertraute und Zufriedene wird erschüttert und fremd. In “One for the Road” entsteht dieses Feeling durch den polymetrischen Bass. Eine gemütliche 4/4-Melodie zerfließt unter einer lauten, harten 3⁄4-Basslinie. Ein Spiel zwischen helleren und dunkleren Tönen.
Eigen im Elektroreigen?
Elektronische Musik unerwartet anders – wobei die Art nicht ganz neu andersartig ist. “The Absolute Scene at Stanton Drew” erinnert in seinem Minimalismus, Vocoder-Gesang und Post-Dubstep an James Blakes Debüt. Im Gegensatz zu Blake bleibt Talisman aber an der Oberfläche der Klänge. Eine einfache Melodie bei “One for the Road”, nahöstliches Feeling in “Haha Fucking Quest”. Die Musik erinnert an andere Künstler, die mit Electronica arbeiten und hat mittelalterlichen Hexenverfolgungstouch in der Melodie.
Eine Klangwelt voller Rätsel
Die Inszenierung und die Fähigkeit, daraus Klangwelten voller Mysterien zu schaffen, sind markant für dieses Album und machen es in seinen besten Momenten genial. Auch wenn es nicht seine volle Sprengkraft und Dramatik der Sounds ausschöpft, sondern sich durchgängig an das Gesamtkonzept bindet. Eine absolut verdiente Platte des Monats für einen November zwischen Geborgenheit, Aufbruchsstimmung und existenziellen (Pandemie) Ängsten. Into the Unknown.
Lord oft he Harvest ist am 5. November über DMY erschienen.