M94.5 Kritik
Per Zoom nach Hogwarts
Kammerspiele-Schauspielerin Gro Swantje Kohlhof inszeniert ”Harry Potter und der Stein der Weisen” sehr sehr frei bei sich daheim und sprudelt nur so vor Begeisterung und Kreativität. Dabei sorgt sie für gute Quarantäne-Laune.
Für viele ist das Harry-Potter-Universum mehr als nur eine Fantasiewelt zwischen Buchdeckeln. Die Geschichte über Harry, der in einem Wandschrank unter der Treppe lebt und an seinem 11. Geburtstag plötzlich erfährt, dass er ein Zauberer ist, lehrt uns viel mehr als nur ein Sammelsurium an Zaubersprüchen. Man kann einige Lebensweisheiten mitnehmen. Zum Beispiel: Glück findet sich selbst in Momenten in denen alles hoffnungslos erscheint. Schnelle Urteile sind oft falsch, es lohnt sich Zeit und Verständnis für andere Menschen aufzubringen. Alleine ist alles viel schwieriger, man braucht gute Freunde und die Kraft der Liebe um Herausforderungen zu meistern. Alles gute Tipps, an die es sich in diesen Tagen zu erinnern lohnt.
Eine Rückkehr nach Hogwarts tut in Corona-Quarantäne-Tagen einfach gut. Wer bei Stücken wie Die Räuberinnen gut aufgepasst hat weiß, dass Kohlhof auch auf der großen Bühne schon Harry-Potter-Anspielungen gemacht hat und ihr Faible für die Harry-Potter-Saga Welt nicht wirklich ein Geheimnis ist. So wandlungsfähig Kohlhof ist, so auf dem Boden geblieben wirkt sie, als sie im Kleiderschrank ihres alten Kinderzimmers sitzt. Ganz so als wäre sie die beste Freundin von nebenan und würde mal schnell durchklingeln. Da spielt sie also live für Alt und Jung „Harry Potter und der Stein der Weisen“, während über ihr Kleidungsstücke am Bügel hängen.
„Wir waren ein kleines Baby, wir waren süß und schwabbelig und unsere Eltern haben uns Harry genannt“, beginnt sie die Geschichte. Im Zoom-Call können die Zuschauer*innen die Handlung kommentieren und so wird auch Kohlhof ab und zu durch die ein oder andere Bemerkung im Chat abgelenkt. Aber es geht direkt los mit der Action. Kohlhof kommt ganz nah an die Kamera heran und sagt mit unheilvoller Stimme:
„Lord Voldemort ist der böseste von allen. Er hasst alle Menschen, die nicht zaubern können. Die Muggel. Er hasst auch alle Menschen die zwar zaubern können aber aus nicht magischen Familien kommen. Also er ist ein krasser Nazi.“
Von Anfang an ist klar, dass die Geschichte hier nicht einfach nacherzählt, sondern mit einer sehr persönlichen Note, vollem Körpereinsatz und einer beeindruckenden Ansammlung an Requisiten zum Leben erweckt wird. Eine Kerze wird angezündet, um die große Halle in Hogwarts nachzuempfinden, diverse Kuscheltiere (von IKEA) werden zu magischen Geschöpfen und aus den Zimmerpflanzen wird der verbotene Wald.
Auch Referenzen zu Youtuberin Cold Mirror fehlen nicht, die mit ihren Harry-Potter-Parodien bekannt geworden ist. Kohlhofs schwarze Wollmütze ist der sprechende Hut und trägt das bekannte Lied vor:
”Alle Zylinder und schicken Kappen
Sind gegen mich doch nur Jammerlappen
Ich weiß in Hogwarts am besten Bescheid
Und bin für jeden Schädel bereit
Setz mich nur auf, ich sag dir genau,
Wohin du gehörst denn ich bin schlau.”
Die ganze Wohnung wird Hogwarts-Kulisse und Kohlhof turnt von einem Zimmer ins nächste. So wird die dramatische Szene mit dem Troll in der Halloween-Nacht auf der Toilette nachgespielt und der Kampf ist derart wild, dass sie ganz außer Atem kommt. Noch rasanter geht es weiter: Kohlhofs Katzen werden in den dreiköpfigen Hund Fluffy verwandelt. Der Spiegel an der Wand ist der Spiegel Nerhegeb und der Schal auf Kohlhofs Kopf wird Quirrells düsterer Turban.
”Es gibt kein Gut und Böse. Nur Macht und jene die zu schwach sind um nach ihr zu streben”, sagt Kohlhof mit sinistrer Voldemort-Stimme. Ab und zu braucht es ein Zitat des dunklen Lords um das richtige Ambiente heraufzubeschwören.
Bevor Dumbledore am Ende die Hauspunkte verkündet, muss sie ihren Pullover ausziehen, so viel ist sie in der Wohnung herumgeturnt. Aus den kleinen Bildchen der Zuschauenden in Zoom sucht Kohlhof geeignete Nebendarsteller*innen aus und kürt einen jungen Mann mit roten Haaren zu Ron und ein Junge, der mit seiner Mama den Stream verfolgt, wird zu Neville Longbottom. Musikalische Einblendungen sorgen für die richtige Stimmung.
Am Ende freut Gro sich über die Kommentare, in denen sich auch ein paar andere bekannte Kammerspiele-Schauspieler*innen zu erkennen geben. Die ganze Aufführung ist nur 30 Minuten lang, dafür aber umso kurzweiliger. Wenn einem daheim die Decke auf den Kopf fällt, ist eine Reise nach Hogwarts wirklich immer eine gute Idee.
Der zweite Teil der Hogwarts Experience ist am 15. April um 18 Uhr live zu erleben.