Buchkritik

Für alle, die tief in den menschlichen Abgrund schauen wollen

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Wer schon einmal ein Buch von Ottessa Moshfegh gelesen hat, weiß, dass sie sich gerne mit menschlichen Abgründen beschäftigt. In ihrem neuen Buch Lapvona ist es nicht anders. Dieses handelt von einer fiktiven Stadt im Mittelalter, in der unendlich viel Elend herrscht. Das Buch nimmt sich Themen wie Rache, Aufstieg, Klasse und Glauben an und reflektiert diese auf groteske Weise.

Vom Bauernjungen zum Fürsten

Marek ist der Sohn des Lammhirten Jude und wird von diesem auf die brutalste Weise behandelt. Er gibt ihm die Schuld an so ziemlich allem in seinem Leben. Was Marek nicht weiß: sein Vater ist der Cousin des Fürsten von Lapvona, Villiam. Als Jakob, der Sohn des Fürsten, ermordet wird, will Villiam Marek als Ersatzsohn. Dieser verbringt ab dann sein Leben in der riesigen Burg im Überfluss während die Dorfbevölkerung sich gegenseitig wegen der Lebensmittelknappheit wortwörtlich aufessen will. In der Burg erscheint plötzlich eine schwangere Nonne, die das neue Christuskind gebären soll. Diese wird die neue Frau von Villiam und damit Mareks Stiefmutter. Doch alles ist eigentlich gar nicht wie es scheint und die Beziehungen zwischen den Charakteren sind komplexer als am Anfang geglaubt. Diese Plot Twists sind auch die Stärke des Buches. Obwohl sie subtil sind, kreieren sie genug Spannung um weiterlesen zu wollen. 

Nichts für schwache Mägen 

Mosfeghs Art, Dinge zu beschreiben ist sehr obszön. Einfach gesagt: sie schreibt auch mal gerne über Scheiße. Die detailreichen Beschreibungen von verwesenden Körpern, Gewalt und Körperexkrementen können manchmal echt viel zu verdauen sein. Doch genau das lässt einen direkt in die Welt von Lapvona einsteigen und zeigt die Absurdität der Geschichte auf. Dabei bleibt sie in ihrer Sprache, zumindest in der deutschen Übersetzung von Anke Caroline Burger, immer sehr klar und zielgerichtet. Doch in der großen Anzahl wirken die grausamen Details als zu viel des Guten. Denn die dargestellte Grausamkeit ist fast schon eine Parodie ihrer selbst. Ein Beispiel für die Absurdität ist folgende: dem königlichen Pferd werden die Augen ausgestochen, damit die alte Heilerin der Stadt, die davor nur wenig gesehen hat, neues Augenlicht bekommt. Ihre alten Augen werden beschrieben, die auf ihrem Tisch verrotten. Eigentlich kommt in dem Buch niemand so richtig gut weg – alle sind dazu fähig schreckliche Dinge zu tun, ob hungerleidend oder nicht. 

Wer ist gut, wer ist schlecht? 

Ein dispotischer Herrscher auf der Burg, der seinen Bewohner:innen das Wasser vorenthält und ein Priester, der diesen vorgaukelt, dies wäre des Teufels Werk.  Das scheint doch eigentlich eine perfekte Vorlage für Religions- oder Herrschaftskritik zu sein. Doch diese ist zu subtil. Die Charaktere sind insgesamt moralisch zu schlecht und die Bilder zu grotesk, als dass eine schlagfertige Kritik möglich wäre. Kleine Momente der Gutmütigkeit werden von denen der Schlechtheit oder Gleichgültigkeit überdeckt. Lapvona ist für alle, die sehen wollen, zu was Menschen alles fähig sind, und zu was nicht.