Kommentar

Organspende darf nicht totgeschwiegen werden 

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Jedes Jahr warten über 8000 Menschen in Deutschland auf eine lebensrettende Organspende, gespendet werden nicht mal 3000. Ein Widerspruchsgesetz ist in Deutschland längst überfällig – findet Jakob Schlüter. Ein Kommentar. 

Kaum ein Thema bringt Stimmung auf die Party wie über seinen eigenen Tod nachzudenken. Viel zu gerne ignorieren wir die eigene Sterblichkeit und hassen es, in unserem alltäglichen Komfort daran erinnert zu werden. Blöd natürlich, wenn persönliche Initiative verlangt wird, damit das eigene Lebensende, fremde Leben retten kann. Das ist genau die Situation, in der sich die Organspende in Deutschland befindet und es wird Zeit, dass sich was ändert. 

Aktuell gilt in Deutschland die Entscheidungslösung. Kurzgesagt: Bürger*innen müssen zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organspende zustimmen und dafür muss dann wiederum ein Organspendeausweis ausgefüllt werden. Zwar informieren Krankenkassen gelegentlich mit gut gemeinten Aufforderungen, wer sich mit dem Thema aber nicht auseinandersetzen will, ist damit automatisch auch kein Spender.  

Europa zeigt wie’s geht

In den meisten europäischen Ländern ist das anders: hier wird jeder als Spender geboren. In Spanien und Frankreich zum Beispiel gilt ein Widerspruchsgesetz, das verlangt von Bürger:Innen ein bewusstes Ablehnen der Organspende.

Wichtig dabei: Keine Begründung ist erforderlich und man kann sich jederzeit umentscheiden. 

Zahlen der Eurotransplant zeigen, dass Länder mit einem Widerspruchsgesetz gemessen an der Bevölkerung, bis auf wenige Ausnahmen, eine weitaus höhere Zahl an Spender*Innen haben als Deutschland. Trotzdem wurde ein Reformversuch 2020 in Deutschland klar abgelehnt.  

Die verbreiteten Gründe der Opposition:  Schutz der Menschenwürde und ein immer geringes Vertrauen in das Gesundheitssystem. Außerdem soll Schweigen nicht als Zustimmung gesehen werden. 

Dieses Schweigen gilt es aber zu brechen. Viele Menschen wären der Organspende zwar nicht abgeneigt, trotzdem nehmen sie sich nicht die Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Man will ja nicht jetzt schon nachdenken, was nach dem eigenen Tod passiert. Aber selbst wir jungen Menschen können unglücklich aus dem Leben gerissen werden. Auf diese Organe kommt es dann an. Denn währenddessen sterben weiter Menschen, die auf Organe warten und wer weiß, vielleicht sind wir ja selbst mal abhängig von einer fremden Spende. 

Die schweigende Mehrheit erreichen

Was für die Lebensrettung nicht zählt: die vernachlässigbar kleine Zahl an aktiven “Organspende-GegnerInnen”. Hier wird wenig gewonnen durch ziellose Debatten über Ethik und persönliche Präferenz. Was zählt: BürgerInnen, die dem Thema gleichgültig gegenübertreten und sich deswegen schlichtweg nicht damit auseinanderzusetzen. Und gerade diese schweigende Mehrheit gilt es zu gewinnen, um Leben zu retten. 

Ein Widerspruchsgesetz ist die Möglichkeit genau dieses Mittelfeld zu erreichen, und das, ohne sie aus ihrem Komfort von vermeintlicher Unsterblichkeit zu reißen. Nichts muss diskutiert und niemand muss gegen seinen Willen so einem unschönen Thema zu viel Aufmerksamkeit schenken. Lediglich die, die aktiv gegen eine Organspende sind, sind gezwungen ihr Schweigen zu konfrontieren und sich für einen kurzen Moment mit ihrer Entscheidung auseinanderzusetzen.  

Kurz gesagt: Wer nicht spenden will muss nicht spenden. Aber wir in Deutschland müssen aufhören, Menschen wortwörtlich totzuschweigen.