Kommentar
Online-Uni ist nicht die Lösung
Die Hochschulen verlegen ihre Lehre aufgrund steigender Infektionszahlen wieder zunehmend ins Homeoffice. Das kann die mentale Gesundheit von Studierenden gefährden, und das obwohl noch nicht mal alle Maßnahmen zum Erhalt der Präsenzlehre versucht wurden. Ein Kommentar von Benjamin Probst.
Eigentlich ist es nichts Neues: Die Studierenden sind wieder mal vergessen worden. Da waren die Hochschulen gerade für fünf Wochen geöffnet und schon beginnt der Weg zurück in die Online-Lehre. Es ist dasselbe Spiel wie im letzten Jahr, die Infektionszahlen steigen im Winter und die Universitäten setzen wieder nur auf Online-Lehre.
Wurde dieser Schritt letztes Jahr noch heftig diskutiert, erscheint er den betroffenen Studierenden in diesem Jahr eher als Automatismus. Gerade weil einzelne Hochschulen bereits von sich aus in den Onlinebetrieb zurückkehren, bevor es gesetzliche Regelungen verlangen. Praktisch im vorauseilenden Gehorsam.
Risiko: Online-Uni
Dabei bietet die Online-Lehre gerade in diesem Wintersemester viele Risiken. Da ist zum einen die alljährliche Winterdepression. Die grauen, verregneten Herbsttage und die frühe Dämmerung im Winter lassen die Anfälligkeit für Depressionen in Teilen der Bevölkerung ansteigen. Gerade wenn die Kommiliton:innen aus dem Hörsaal fehlen verstärkt sich auch bei Studierenden dieser Effekt. Viele Erstis sind in Erwartung eines Präsenzsemesters in die Universitätsstädte geströmt und von zu Hause ausgezogen. Diejenigen, die jetzt alleine wohnen oder sich in der beengten WG nur im eigenen Zimmer aufhalten, werden jetzt wohl besonders an der Online-Uni leiden. Alleine in seinem Zimmer zu lernen ist vielleicht nicht für jeden weniger lehrreich, aber auf jeden Fall sehr einsam.
Die gleichen Fehler nochmal
Darüber hinaus ist es ja nun nicht das erste Wintersemester während dieser Corona-Pandemie. Bereits im letzten Herbst gab es einen Anstieg der psychischen Erkrankungen bei Studierenden. Bei einer Studie der TU-München gaben 72% der befragten Studierenden an sich während des Lockdowns schlechter gefühlt zu haben. Und bei manchen Studierendenwerken hatten zeitweilig die Hälfte der Anfragen für psychische Beratungen mit der Pandemie zu tun. Die Fakten sind also klar und verlangten eigentlich nach ausgewogenen Reaktionen.
Für all diejenigen, die sich über den lockeren Sommer von ihren psychischen Krisen erholt haben, stellt der kommende Winter also ein Risikofaktor dar. Zu viel erinnert an die Probleme des letzten Jahres, zu groß sind auch in diesen Winter die Belastungen.
Bei der letzten Pressekonferenz der Landesregierung zu den neuesten Corona-Maßnahmen fehlte ein eindeutiges Statement zu den Hochschulen. Der zuständige Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler, war auf der Pressekonferenz nicht mal anzutreffen. Lediglich der Kultusminister Michael Piazolo sprach sich dafür aus die Schulen offen zu halten, da sie den Schüler:innen Halt gäben und auch ein sozialer Ort seien. Damit hat er Recht, aber das selbe gilt für die Hochschulen auch! Studierende sind oft in einer neuen Stadt, suchen Gleichaltrige und Orte um sich zum treffen. All das kann die Online-Hochschule einfach nicht bieten. Dass in der Pressekonferenz kein Platz für die Anliegen der Studierenden blieb ist bezeichnend.
Untätigkeit und Unkreativität
Niemand will die Hochschulen um jeden Preis offen halten, aber die Möglichkeiten wenigstens Seminare in Präsenz stattfinden zu lassen sind sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Eine Möglichkeit ist der Hybridunterricht, um den sich die Fakultäten das letzte Jahr über hätten kümmern können, ja, kümmern müssen. Und es gibt auch die Option 2G-Plus einzuführen. Der Politik und den Hochschulen sollte inzwischen klar sein, was sie den Studierenden antun, wenn sie in alte, nicht bewährte Corona-Muster und Maßnahmen zurückfallen.
Das Online-Studium ist somit nicht nur ein Risikofaktor für die Gesundheit von Studierenden, sondern es ist auch Ausdruck des Versagens der Universitäten, die lieber mit Distanz unterrichten, statt intelligente Lösungen für das gemeinsame Lernen zu entwerfen. Was sagt dieser Erfindungsgeist wohl über den Wissenschaftsstandort Deutschland aus?