Kommentar
Olympia ist keine Männersache
Die Nordische Kombination der Frauen bleibt bei den Olympischen Winterspielen 2026 außen vor: eine Entscheidung, die schlichtweg nicht hinnehmbar ist. Die Nordische Kombination bleibt damit die einzige Sportart bei Olympia 2026, die nur von Männern ausgeübt wird. Ein Kommentar von Marie-Noelle Svihla.
Seit fast 100 Jahren kämpfen Männer in dieser Königsdisziplin um olympisches Gold, doch für Frauen bleibt die Tür verschlossen. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur sportlich unverständlich, sondern entlarvt auch die Gleichstellungsagenda des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) als leeres Versprechen. Gleichberechtigung ist keine Option, sondern ein Muss.
Tradition für Männer, Hindernisse für Frauen
Die Nordische Kombination ist eine der traditionsreichsten Disziplinen der Olympischen Winterspiele. Seit der Premiere 1924 stehen die Wettkämpfe durchgängig auf dem Programm. Allerdings nur für Männer. Frauen mussten ein ganzes Jahrhundert warten, bis sie 2021 in Oberstdorf überhaupt an einer Weltmeisterschaft teilnehmen durften. Ihre Leistungen haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Der Weltcup-Kalender wurde erweitert, bei den nächsten Weltmeisterschaften 2025 in Trondheim sind sie ebenfalls vertreten. Doch die olympische Bühne bleibt den Frauen verwehrt. Eine junge Disziplin braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Perspektive ist dabei essenziell und genau diese Perspektive wird den Kombiniererinnen mit der Olympia-Absage genommen.
Die Argumente des IOC wirken wie eine Ansammlung altbekannter Floskeln: zu geringe Leistungsdichte, fehlende Vielfalt, unbefriedigende TV-Quoten. Diese Begründungen sind nicht nur oberflächlich, sondern auch kontraproduktiv. Wie soll eine Sportart wachsen, wenn sie nicht die Chance erhält, sich auf der größten Bühne der Welt zu präsentieren? Ohne die mediale Strahlkraft von Olympia bleiben Aufmerksamkeit und Sponsoren aus. Ein Teufelskreis, der vom IOC mit jeder weiteren Absage verstärkt wird.
Frauen kämpfen, das IOC schweigt
Die Kombiniererinnen lassen nichts unversucht, um auf ihre Diskriminierung aufmerksam zu machen. Sie haben eine Petition mit über 25.000 Unterschriften gestartet. Sie haben am Holmenkollen, dem Zentrum des nordischen Skisportes, protestiert und sich Bärte ins Gesicht gemalt, um auf die männliche Dominanz hinzuweisen. Bei Weltcup-Rennen haben sie ihre Stöcke über den Köpfen zu einem „X“ gekreuzt. Ihr Protestzeichen für „No eXception“. Doch das IOC blieb bislang ungerührt.
Diese Ignoranz wirkt besonders widersprüchlich, denn es war das IOC selbst, das den Weltskiverband FIS vor Jahren aufforderte, Gleichberechtigung in der Nordischen Kombination herzustellen. In der Folge wurden Weltmeisterschaften eingeführt und der Weltcup etabliert, sodass sich die Disziplin professionalisieren konnte. Doch jetzt, wo die Athletinnen bereit sind, verweigert das IOC ihnen die Teilnahme.
Das Olympia-Aus ist nicht nur eine sportliche Niederlage, sondern auch ein moralisches Desaster. Es sind überwiegend ältere, männliche Funktionäre in der Führungsetage des IOC, die diese Entscheidung getroffen haben. Ihre Ignoranz zeigt, wie wenig die olympische Führung von echter Gleichberechtigung versteht. Dass das IOC gleichzeitig immer wieder betont, Gendergleichheit sei ein zentrales Ziel, macht die Situation noch heuchlerischer.
Ein riskantes Spiel mit der Zukunft
Die Entscheidung des IOC hat weitreichende Folgen. Ohne die Frauen droht der gesamten Nordische Kombination aus dem olympischen Programm gestrichen zu werden. Der Grund: Ohne Frauen ist es für das IOC leichter, die gesamte Sportart als „veraltet“ oder „unattraktiv“ zu klassifizieren und sie komplett aus der olympischen Agenda zu streichen. Wenn das IOC argumentiert, die Disziplin sei zu wenig international oder nicht attraktiv genug für Zuschauer:innen, entwertet das nicht nur die sportlichen Leistungen der Athletinnen und Athleten, sondern stellt die Bedeutung von Tradition infrage. Gerade die Nordische Kombination ist eine der ältesten und traditionsreichsten Disziplinen der Winterspiele. Umso mehr darf ihre sportliche Strahlkraft nicht unterschätzt werden.
Die Spezial-Skispringerinnen haben vorgemacht, welchen Aufschwung die Teilnahme an Olympischen Spielen einer jungen Disziplin geben kann. Die Kombiniererinnen haben das Potenzial, denselben Weg zu gehen. Doch ohne die Perspektive Olympia fehlt der Anreiz für Athletinnen, ihre gesamte Zeit und Energie in eine Sportart zu investieren, die nicht die höchste Bühne erreichen darf.
Mit der Ablehnung der NoKo-Frauen sendet das IOC ein gefährliches Signal: Tradition und Gleichberechtigung zählen nur, wenn sie sich vermarkten lassen und wirtschaftlich bequem sind. Anders lässt sich die ungleiche Behandlung nicht erklären, denn zahlreiche olympische Sportarten wie Synchronschwimmen oder Curling sprechen ein noch kleineres Publikum an und bleiben trotzdem Teil des Programms.
Olympia braucht Haltung, nicht Kommerz
Aber olympische Spiele müssen mehr sein als eine Bühne für maximale TV-Quoten. Sie sollten ein Vorbild sein, für Fairness, Respekt und Chancengleichheit. Dass die Frauen in der Nordischen Kombination nicht starten dürfen, ist ein Affront gegen den Sportsgeist, der Olympia eigentlich ausmachen sollte. Olympia muss ein Fest des Sports für alle sein, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Marktwert. Das IOC muss diese Entscheidung überdenken, nicht irgendwann, sondern jetzt. Denn Olympia ist keine Männersache.