Kommentar
Notre-Dame: Scheinheilige Spenden
Vor etwa einer Woche hat die ganze Welt nach Paris geschaut: Die weltberühmte Notre-Dame war in Flammen. Wenige Stunden nach dem Brand hat es bereits eine große Spendenaktion für den Wiederaufbau der Kirche gegeben. Das mit den Spenden ist aber so eine Sache – es kommentiert Milan Busch.
Es sind Bilder wie im Weltuntergang: Notre-Dame, eine der bekanntesten Kirchen der Welt, das Nationalsymbol Frankreichs – in Flammen.
Auch Zeitungen greifen das Desaster auf. Sie betiteln dramatisch „Paris trauert um seine Dame“, „Der Held von Paris: Priester rettet Krone Jesu aus Flammen-Hölle“ und „Das Herz meiner frühen Kindheit stand in Flammen“.
Ziemlich viel Emotionen um einen Haufen aus kaputtem Stein.
Beileid mit Nachgeschmack
Mit der Notre-Dame hat das Feuer empfindlich getroffen: Es hat das Herz der französischen Hauptstadt verletzt, ein Symbol des Nationalstolzes angegriffen, religiöse Geschichte zerstört.
Entsetzte und mitfühlende Reaktionen auf den Brand lassen nicht lange auf sich warten: Sätze wie „In unseren Gedanken sind wir bei unseren französischen Freunden“ kommen nicht nur aus der Regierung. Auch die sozialen Medien sind voll von dramatischen Fotos und weinenden Emojis, dazu überall die französische Flagge. Die ganze Welt nimmt betroffen Anteil.
Ähnlich globales Mitgefühl gibt es sonst nur bei terroristischen Anschlägen und Flugzeugabstürzen. Auf Instagram sind 1.800 Posts ernsthaft mit dem Hashtag „#JeSuisNotreDame“ beschriftet – ein Hashtag, der nach den Pariser Terroranschlägen kaum zynischer sein könnte.
Das Rennen um die größte Spende
Die weltweite Anteilnahme verwandelt sich auffällig schnell in bares Geld: Bernard Arnault, der Mann hinter Louis Vuitton, spendet spontan 200 Mio. €. Der Milliardär François Pinault, bekannt durch den Modekonzern Gucci, gibt 100 Mio. €. Und die Milliardärsfamilie von L’Oréal steht mit 200 Mio. € bereit – als ob die Kirche nicht schon genug Geld hätte.
Damit sind wenige Stunden nach dem Brand für die Notre-Dame bereits 500 Millionen € zusammen. Inzwischen sollen es mindestens 900 Millionen sein. Fast eine Milliarde für ein Bauwerk, das zwar Nationalsymbol und historischer Ort ist, aber eben auch nur ein Bauwerk.
Eine Brandkatastrophe mit ähnlichem Ausmaß hat es 2017 gegeben. Hier aber mit dem feinen Unterschied von 79 Todesopfern. Die Rede ist vom Grenfell-Tower in London. Der Brand war tagelang in den Nachrichten, bekannte Musiker haben eine Benefizaktion gestartet. Für die Opfer des Grenfell-Disasters wurden bis heute circa 33 Millionen € gesammelt. Ein Spottbetrag im Vergleich zur bescheidenen Milliarde.
Ein weiteres Beispiel: Die aktuellen, terroristischen Anschläge in Sri Lanka: Über 300 Todesopfer und unglaubliches Leid. Außer der Nachrichten-Berichterstattung gibt es kaum Reaktionen. Von großen Spenden ist bisher nichts bekannt.
Auf der Erde nichts Neues
Es ist eine alte Geschichte: Menschenleben haben bei uns einen relativen Wert. Der Wert einer gotischen Kirche zum Beispiel ist größer. Brennt sie ab, sind wir in tiefer Trauer, Geldbörsen öffnen sich, auf Instagram heulen wir uns die Emoji-Augen aus. Um es auszudrücken wie der französische Beauftragte für Kulturgüter: Die Menschen hätten zwar das Gefühl, dass Notre-Dame die Seele Frankreichs ist. Aber: „Ich würde mir wünschen, dass man zwei Milliarden gibt, damit niemand mehr auf der Straße schlafen muss“.
Die Spenden für die Notre-Dame sind eine Scheinheiligkeit, wie sie im Buche steht.