Der Tod von Lyra McKee

Nordirlandkonflikt – Eine gespaltene Stadt

/ / Foto: Rochssana Pakzad/ M94.5

Am 18. April 2019 wird die 29-jährige Journalistin Lyra McKee in Derry, Nordirland, erschossen. Bis heute ist ihr Tod nicht aufgeklärt. Was die Schüsse in Derry mit einem Bürgerkrieg zutun haben, der schon lange vorbei schien.

Derry – offiziell Londonderry – ist mit rund 85.000 Einwohnern die zweitgrößten Stadt Nordirlands, nur wenige Kilometer trennen sie von der Grenze zu Irland. Die Stadt ist gespalten, wortwörtlich: der Fluss Foyle trennt sie in die „Derryside“ und in die „Waterside“. Auf der Derryside leben fast nur Katholiken, die Waterside wird auch von Protestanten bewohnt.

In Nordirland wird Religion zu Politik, denn die Protestanten fühlen sich als Briten dem Vereinigten Königreich zugehörig, die Katholiken hingegen sehen sich als Iren und damit als Teil der Republik Irland. Ein Konflikt mit Geschichte, der die Bevölkerung noch immer spaltet, schon daran erkennbar wie die Bewohner ihre Stadt nennen. Für die Katholiken ist es das irische Derry, die Protestanten benutzen den offiziellen Namen Londonderry.

Ein Ort mit Geschichte

Zur Zeit des Nordirlandkonflikts zwischen 1969 und 1998, den sogenannten „Troubles“, bekämpften sich die beiden Bevölkerungsgruppen. Derry war ein Krisenherd dieses Bürgerkriegs, hier war der Widerstand gegen das „britische Establishment“ besonders groß, weil in Derry mehrheitlich Katholiken lebten. Splittergruppen der „Irish Republican Army“ (IRA) kämpfen gegen protestantische Loyalisten, die oft die Polizei und die britische Armee hinter sich hatten.

Ganze Stadtteile wurden damals zu sogenannten „No Go Areas“. Zum Beispiel das katholisch-republikanisch geprägte Creggan, das unter der Kontrolle der IRA war. Nach 20 Jahren Frieden ist das auch heute noch zu spüren und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen zwischen der Bevölkerung und der nordirischen Polizei.

Ein Konflikt mit Folgen

In einem dieser Viertel, genauer in Creggan, war die 29 jährige Lyra McKee unterwegs, als sie während einer solchen Ausschreitung zu Tode kam. Lyra McKee war eine junge Journalistin, selbst in Nordirland geboren und aufgewachsen, beschäftigte sie sich vor allem mit der Geschichte ihres Landes und den Folgen des Konflikts. Ein wichtiger Schritt war für sie dabei die Aufarbeitung ihres eigenen Verhältnisses zur Kirche. Vor allem die katholische Kirche hat einen großen Einfluss auf das öffentliche Leben in Nordirland. Lyra, die selbst lesbisch war, hatte Zeit ihres Lebens damit zu kämpfen und setzte sich als Aktivistin für die LGBTQI+ Community ein. Die Ablehnung ihrer Homosexualität durch den eigenen Glauben führte Lyra vor allem während ihres Aufwachsens immer wieder in Krisen, wie sie in einem TED Talk selbst erzählte.

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Lyra McKee spricht über ihre Sexualität, ihr Verhältnis zur Religion und darüber, welche Erfahrung dieses verändert hat.

Lyra McKee lebte noch nicht lange in Derry. Erst kurz vor ihrem Tod war sie zu ihrer festen Freundin in die Stadt gezogen. Im Jahr 2019 sind laut Reporter ohne Grenzen weltweit mindestens 38 Journalisten und Journalistinnen getötet wurden. Die meisten von ihnen starben in Kriegs- und Konfliktgebieten. Lyra McKee starb jedoch mitten in Europa.

Es war der 18. April 2019. Die alljährlichen Paraden der Nationalisten zum Jahrestag des Osteraufstandes 1916 standen kurz bevor, deshalb vermuteten die Beamten Waffen im Wohngebiet Creggan und führten Razzien durch. Die Situation eskalierte, Fahrzeuge brannten und es fielen Schüsse. Laut Polizei waren zwölf auf die Beamten gerichtet, getroffen wurde aber Lyra McKee, die gerade in der Nähe eines gepanzerten Polizeiwagens stand. Ein Versehen, wie die New IRA sagt. Die paramilitärische Gruppe, die aus der früheren IRA entstand, bekannte sich später zu der Tat. Eigentlich sollten die Schüsse die, aus ihrer Sicht, „feindlichen Kräfte“, also die Polizei, treffen.

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“Free Derry”, so nennt sich das Stadtviertel selbst. Seine Bewohner bedauern den Tod von Lyra McKee und distanzieren sich von der Tat.

Das Verhältnis zur nordirischen Polizei

Die Polizei als Feind einer paramilitärischen Splittergruppe mag ein wenig überraschen. Doch in Nordirland misstraut ein Großteil der irisch-katholischen Bevölkerung der Polizei zutiefst. Das geht so weit, dass Katholiken sich auch in Gefahrensituationen selten an die Behörden wenden. Denn der Großteil der Polizeibeamten ist protestantisch-unionistischer Herkunft.

Dieses Misstrauen hat schwerwiegende Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit des Staates, auch im Mordfall von Lyra McKee. Seit ihrem Tod wurden mehrere Tatverdächtige von der Polizei festgenommen, aber zu einem Durchbruch in den Ermittlungen kam es nie. Selbst wenn es Zeugen gäbe. “Zur Polizei gehen? – Das wäre Hochverrat” – so meinen viele. Bislang konnte noch kein Täter vor Gericht gestellt werden. Die Kluft zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, zwischen Katholiken und Protestanten, ist zu groß.

Das grundlegende Misstrauen in die Polizei zeigt, dass der Friedensprozess auch nach über 20 Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Lyra McKee fiel einem Bürgerkrieg zum Opfer, der schon lange vorbei schien. Aber Frieden kann nur gelingen, wenn Konflikte von allen Parteien aufgearbeitet werden.