Kommentar

Femizide beim Namen nennen

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Im Jahr 2023 sind in Deutschland 193 Frauen durch Femizide gestorben. Die Täter: Meist Männer aus dem Umfeld, die gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätig werden. In den Medien wird aber selten von “Femiziden” gesprochen. Stattdessen werden sie durch Begriffe wie “Beziehungstragödie” verharmlost. Romy Hölzel findet, man muss Femizide beim Namen nennen. Ein Kommentar.

Beitrag von Romy Hölzel

Statistisch gesehen versucht jeden Tag ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. Jeden dritten Tag gelingt es ihm. In Deutschland sterben mehr als 100 Frauen pro Jahr durch einen Femizid. Sie sind die Spitze des Eisberges der Gewalt an weiblichen Personen. Frauen werden bei Femiziden von männlichen Personen, sei es ein Verwandter, der Partner oder auch ein Fremder, ermordet – eben, weil sie Frauen sind. Motiviert sind diese Taten meist durch Macht und Dominanz, die die männlichen Täter demonstrieren möchten. Die Frau tut nicht, was man(n) will – und dafür muss sie sterben. Femizide sind keine Einzeltaten – und trotzdem werden diese Morde kaum beim Namen genannt.  

Das Ausschlachten der Details

“Familientragödie”; “Liebesdrama”; “Bluttat” und “furchtbare Beziehungstat”: So werden Ermordungen von Frauen oft in den Medien bezeichnet. Der Begriff “Femizid” fällt dabei nur selten. Statt das Problem beim Namen zu nennen, werden die Verbrechen stattdessen in allen Details auseinandergenommen. Gab es in der Beziehung einen Betrug, Drogenmissbrauch, eine Trennung? Wie genau ist die Frau gestorben? Wie lief der Mord ab? Während all diese Fragen möglichst genau und detailliert beantwortet werden, wird die Tat an sich nicht in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext eingeordnet oder als großes Problem betrachtet. Sie werden behandelt wie “tragische Einzelfälle” – obwohl sie ein gefährliches Produkt des Patriarchats sind und alles andere als selten geschehen. Einige, überwiegend boulevardistische Medien nutzen diese Details außerdem auf eine Art und Weise aus, die mehr Aufmerksamkeit und Aufrufe generieren könnte: In den Überschriften geht es dann nicht um den Femizid oder das Opfer selbst, sondern um die möglichst erschreckenden Einzelheiten: “Frittierfett-Attacke” oder “Sohn eines Killers würgt Freundin fast zu Tode” heißt es dann in Großbuchstaben. Das eigentliche Problem des Femizids verliert an Sichtbarkeit, um die Leser:innen mit möglichst schockierenden Details zu fesseln. 

Den Tätern wird eine Bühne geboten

Aber nicht nur der Femizid selbst wird in allen Einzelheiten ausgeschlachtet: Oft bekommt der Täter eine Bühne, indem seine Charaktereigenschaften beleuchtet und als eine Art Rechtfertigung für die Tat dargestellt werden. Er sei halt einfach ein eifersüchtiger Mensch gewesen, und seine Freundin habe sich getrennt. Er sei halt so wütend gewesen, weil sie mehr Freiraum haben wollte – die Taten werden dadurch nicht nur romantisiert, die Verantwortung des Täters wird von ihm weggelenkt. “Aus Wut und Eifersucht übergoss Auto-Ma­nager seine Ex-Frau mit sie­dend heißem Öl”, heißt es in einem Artikel über einen versuchten Femizid. Als sei Wut und Eifersucht eine Rechtfertigung für die Tat. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht für jede betroffene Frau und ihre Angehörigen. 

Der Verlust an Sichtbarkeit

Die Begriffe “Tragödie” und “Drama” implizieren außerdem ein unvorhersehbares Auftreten dieser Form von Gewalt an Frauen. Ein Geschehen, das angeblich ganz ausnahmsweise mal vorkommt. Aber das stimmt nicht. Femizide sind ein weitreichendes, strukturelles, gesellschaftliches Problem. Sie sind keine Taten, die hin und wieder mal passieren können. Wenn diese Taten als Einzelfälle dargestellt werden und in allen Details der Täter-Opfer-Beziehung analysiert werden, verliert das ganzheitliche Problem an Sichtbarkeit. Und wenn das Thema an Sichtbarkeit verliert, verliert es an Relevanz. Es wird weniger darüber gesprochen, es wird nicht nach Lösungen gesucht, denn es sei halt einfach eine “dramatische Beziehungstat” gewesen. 

Ermordungen an Frauen aufgrund ihres Geschlechts müssen als das bezeichnet werden, was sie sind: Femizide. Wenn sich die Darstellung in den Medien weiterhin nur auf die Details stürzt, die Taten gerechtfertigt oder den Opfern die Schuld gegeben wird, ist das eine unverhältnismäßige Verharmlosung von Femiziden. Sie werden als kein weitgreifendes Problem betrachtet. Deswegen müssen Femizide beim Namen genannt werden.