Notwendig oder unnötig?
Minderjährige Rekruten in der Bundeswehr
Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, das heutzutage noch Rekruten unter 18 Jahren anwirbt. Mit über 2.000 minderjährigen Bewerbern war 2017 ein Rekordjahr. Obwohl die Zahlen seitdem zurückgehen, sind das immer noch zehn Prozent aller neu angeworbenen Soldaten.
Kaum volljährig und schon in der Verantwortung für sein Land zu dienen. 2019 wurden 1.500 Minderjährige von der Bundeswehr angeworben, was zwar einem allgemeinen Rückgang, jedoch immer noch der doppelten Anzahl des Jahres 2011 entspricht. Das erfüllt allerdings nicht den sogenannten internationalen 18-Jahre-Standard, der durch die UN-Kinderrechtskonvention abgesichert ist und von über 150 Ländern weltweit eingehalten wird – und eben auch für die Rekrutierung von Freiwilligen relevant ist.
Wettbewerbsfähig bleiben
Carsten Siebinger, Oberstleutnant des Landeskommandos Bayern, verteidigt die Rekrutierung der Minderjährigen und erklärt, dass dies mit der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammenhänge. Reformen im deutschen Schulsystem hätten dazu geführt, dass sich immer mehr junge Menschen vor dem Abschluss des 18. Lebensjahres für ihren zukünftigen Lebensweg entscheiden müssten.
Es gehe also darum, wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Bundeswehr passe sich deshalb an und möchte den Einstieg in verschiedene Behörden, wie beispielsweise der Bundespolizei, vereinfachen. Eine andere Vorgehensweise, so Siebinger, wäre ein “gesellschafts- und sozialpolitisch nicht tragbares Modell.”
Kein Platz für Kinder?
Ralf Willinger engagiert sich seit 2009 für die Kinderrechtsorganisation “terre des hommes”. Er sieht neben rein rechtlichen Problemen auch das vorherrschende Klima innerhalb der Bundeswehr als problematisch an. Jährlich auftretende Unfälle, Verletzungen bis hin zu Todesfällen bei Märschen, sowie das Risiko belästigt oder in internen Aufnahmeritualen gedemütigt zu werden, seien Faktoren, die berücksichtigt werden müssten. Für ihn steht fest: “Es ist einfach klar, so eine Armee ist kein Platz für Kinder”.
Äußerst wichtig zu betonen ist allerdings, dass sich die Einbeziehung junger Interessenten nicht mit derartigen Strapazen oder dem Stereotyp eines “Kindersoldaten” gleichsetzen lässt. Bewerber dürfen sich nur mit der ausdrücklichen Zustimmung der Erziehungsberechtigten verpflichten, erreichen im Durchschnitt innerhalb der kommenden sechs Monate die Volljährigkeit und haben weiterhin die Möglichkeit, ihren Entschluss zu überdenken. Außerdem gelten besondere Bestimmungen bezüglich der Schulung mit der Waffe.
Deutschland als Internationales Vorbild
Willinger betont, dass es darum gehe, international von einem schlechten zu einem guten Vorbild zu werden. Kriegsherren in Somalia oder Myanmar rechtfertigten ihr Verhalten mit Verweisen auf die Bundeswehr. Neben Deutschland zählen Großbritannien und die Vereinigten Staaten mittlerweile zu den einzigen anderen westlichen Ländern, die in ähnlichen Zahlen wie Deutschland Minderjährige rekrutieren und sich ebenfalls mit einem Verweis rechtfertigen.
Klare Linie?
Die Haltung der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen scheint auch nicht klar definiert. Während die Regelungen bezüglich sogenannter “Ballerspiele” stetig verschärft wurden, da sie die aktive Tötung von Menschen simulieren, war sie es, die sich stets für die Anwerbung Minderjähriger stark gemacht hatte. Simulationen der Bundeswehr seien laut Willinger jedoch Darstellungen, die noch direkter involvieren und ein Ort an dem Jugendliche oft auf dem gleichen Niveau mit Erwachsenen trainieren. Auch hier zeigt sich ein zwiespältiges Verhältnis – vergleichbar mit dem Einhalten des internationalen 18-Jahre-Standards.
Effektivität und Sinnhaftigkeit
Auch wenn die Bundeswehr keine offiziellen Zahlen veröffentlicht, bricht eine große Zahl der minderjährigen Rekruten die Ausbildung frühzeitig ab. Hinzu kommt, dass sich laut dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels viele Vorgesetzte innerhalb der Bundeswehr mit der wachsenden Zahl minderjähriger Soldatinnen und Soldaten überfordert fühlen. Laut einem 2019 veröffentlichten Bericht des Deutschen Bündnis Kindersoldaten, raten Ausbilder der Bundeswehr Minderjährigen, oft von ihrem Entschluss ab, der Bundeswehr beizutreten, da die Ausbilder selbst nicht als Lehrer qualifiziert sind.
Mit steigenden Ausgaben für Werbung seitens der Bundeswehr und einer immer noch relativ hohen Anzahl von Rekruten unter 18 Jahren scheint Deutschland an der Praxis festzuhalten – trotz zunehmender öffentlicher Kritik.