Buchkritik
Mama, can you hear me?
23. Januar 2025 / Megan Kreileder-Willis / Bildquelle: Hanser Literaturverlage
Ehemann, Kinder, gut bezahlter Job. So hat sich die Mutter das Leben ihrer Tochter ausgemalt. Stattdessen ist alles anders geworden: ihre Tochter hat kein festes Einkommen, kommt verletzt von Demos nach Hause und liebt eine Frau. Kim Hye-jin erzählt in ihrem Roman “Die Tochter” mit großer Feinfühligkeit von einer Mutter und ihrer Tochter, zwischen denen ein tiefer Graben liegt.
Mein Leben, dein Leben
“Die Tochter“ ist die Geschichte eines ungleichen Duos. Die Mutter ist Altenpflegerin und lebt ein unauffälliges Leben, die Tochter Aktivistin, sie will mit ihren Belangen auffallen. Als sie in finanzielle Not gerät, zieht sie wieder bei ihrer Mutter ein – mit ihrer Partnerin.
Aus dieser gezwungenen Nähe ergeben sich viele Konflikte und Streitigkeiten zwischen Mutter und Tochter. Die Autorin schafft es, dieses Spannungsfeld realistisch und unbeschönigt zu schildern. Literatur über queere Menschen ist oft aus deren Perspektive geschrieben – diesen Spieß dreht Kim Hye-jin bewusst um, und beleuchtet das Innenleben der Mutter. Dabei kommen oft Ansichten oder Meinungen zum Vorschein, die den Lesenden vielleicht etwas befremdlich vorkommen oder sie sogar ärgern. Die Mutter lehnt die Beziehung von Anfang an ab, und sieht diese „Schwäche“ ihrer Tochter als persönliche Beleidigung. Diese inneren Gedanken sind sehr gut beschrieben. Auch wenn die Lesenden ihr nicht zustimmen, verstehen sie ihre Handlungen und Gefühle etwas besser.
Passagen wie diese zeigen die innere Zerrissenheit der Mutter. Durch Beschreibungen ihrer eigenen Jugend wird den Lesenden klar, dass sie ihre Tochter gern verstehen würde, doch dass Tradition und ihre eigene Erziehung dies erschweren.
Kein Happy-End
Kim Hye-jin zeigt die Meinung der Mutter roh und unbeschönigt. Sie entschuldigt sie nicht, oder schiebt es auf ihr Alter oder ihre Generation, sondern erklärt einfach, warum ihr die Akzeptanz so schwerfällt. Es gibt auch nicht diesen einen Moment, in dem die Mutter von einer Sekunde auf die andere beginnt, die Beziehung zu akzeptieren.
Es ist mehr ein zartes Hoffen, dass sie vielleicht eines Tages bereit ist, zu verstehen.
엄마 (Hangul für „Mama”)
Die Themen Tradition, Ungerechtigkeit und Wandel ziehen sich durch das Buch. Auch das Spiel mit Parallelen beherrscht Kim Hye-jin. Die Mutter beschwert sich über den Aktivismus der Tochter, sie solle doch aufhören, sich so für fremde Menschen einzusetzen, denn was bringt es ihr letztendlich? Als die Mutter dann in ihrer Arbeit versucht, die Pflege einer Bewohnerin zu verbessern, trifft sie auf die gleichen Argumente von ihren Kolleg:innen: sie solle doch aufhören, so würde sie ja ihren Job gefährden, und außerdem sei die Bewohnerin eine Fremde, was bringe es ihr denn, sich für sie einzusetzen? Kim Hye-jin schafft es, Parallelen wie diese unauffällig und dennoch prägnant in die Geschichte einzuarbeiten. Das regt die Lesenden zum Nachdenken über ähnliche Parallelen in ihrem eigenen Leben an.
All’s well that ends well?
Kim Hye-jin ist mit ihrem Roman „Die Tochter“ ein sehr realistisches Porträt einer schwierigen Mutter-Tochter Beziehung gelungen. Die Sprache ist unkompliziert und nahbar. Dies bringt die Lesenden mitten ins Geschehen, und erinnert sie vielleicht an ähnliche, eigene Beziehungen. Das Buch ruft dazu auf, unseren Gegenübern mehr Verständnis entgegenzubringen, und dass man einander zuhören kann, auch wenn man sich nicht versteht.
“Die Tochter” von Kim Hye-jin ist beim Hanser-Berlin-Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro.