Buchkritik
Looong Island
Der historische Roman “Brooklyn” von Colm Toíbín räumte nach seinem Erscheinen 2009 viele Preise ab und wurde schon bald mit Saoirse Ronan in der Hauptrolle verfilmt. Darin wandert die junge Irin Eilis Lacey in den 1950ern in die USA aus und findet im Klempner Tony die große Liebe. Mit “Long Island” kommt nun eine Fortsetzung in den Buchhandel, mit der wohl nur wenige gerechnet hatten – und zerstört das (zumindest in der Filmversion) von “Brooklyn” suggerierte Happy Ever After.
Das Buch beginnt mit einem Schock: Tony hat Eilis betrogen! Wir befinden und in den 1970ern, und EIlis lebt mit Tony, ihren zwei Teenager-Kindern und der ganzen italienischen Großfamilie auf Long Island. Und die soll nun noch größer werden, denn der (irische) Ehemann der Frau, mit der Tony eine Affäre hatte, wird das Baby nach der Geburt bei Eilis abgeben. Und sie ist die Einzige, die was dagegen hat.
Der blanke Wahnsinn
Tony ist mit Mitte 40 nicht mehr der Charmeur von früher, und auch seine Familie ist nicht mehr nett und offen – Sie verheimlichen Tonys Affäre vor Eilis und entscheiden über ihren Kopf hinweg, das Kind aufzunehmen. Die Enge und Frustration, die Eilis in der Familie erlebt, wird im Buch sehr gut wiedergegeben und richtig spürbar. Ob die Wandlung der Charaktere glaubwürdig ist? Eilis hat sich ebenso verändert und steht mehr für sich ein – vielleicht ist auch deshalb niemand mehr nett zu ihr.
Rückkehr nach Irland
Eilis beweist Stärke dadurch, dass sie sich das Verhalten der Familie nicht gefallen lässt und in ihre Heimat Irland zurückkehrt. Dort wird sie sogleich in ein Love Triangle mit ihrer Jugendliebe Jim und dessen neuer Freundin Nancy verwickelt, die gleichzeitig auch Eilis’ ehemalige beste Freundin ist. Wer hier auf Romantik hofft, ist aber an der falschen Stelle. Die Liebesgeschichte ist ein Slow Burn. Außerdem stellt sich auch hier die Frage, ob die Stärke der Liebe vor 20 Jahren nicht zugunsten der Fortsetzung etwas angepasst wurde.
Das Buch wird aus der 3. Person in drei Perspektiven erzählt: Der von Eilis, der von Jim und der von Nancy. Durch diese Aufspaltung wirkt die Erzählung distanziert, besonders von Eilis, die ja eigentlich die Hauptfigur sein soll. Sie ist als Person zwar erwachsen und selbstsicherer geworden, ihre genauen Beweggründe bleiben aber verborgen. Jim hingegen ist als Charakter stärker und komplexer gezeichnet. Die Beschreibung von Gefühlen jedoch fehlt bei allen dreien.
Spannend und langweilig zugleich
Viele Ereignisse werden mehrmals – aus allen drei Perspektiven – wiedergegeben. Gepaart mit einer kleinschrittigen Erzählweise und unnötig komplizierten Sätzen macht das den Roman langatmig. Aber gleichzeitig ist das Buch spannend – denn was wird denn nun aus Eilis und den anderen? Besonders gut gelingt es Toíbín auch im Irland-Part des Buches, die Enge wiederzugeben, die die Charaktere empfinden. Die ständige Überwachung durch den Dorffunk wirkt erdrückend. Schön ist zudem die Annäherung zwischen Eilis’ Mutter und deren Enkelkindern. Das Atmosphärische ist die Stärke des Buchs.
Fazit: (…)
Leider ist ziemlich offensichtlich, dass es sich bei “Long Island” um einen Füll-Band handelt, der einen dritten Teil vorbereitet. Ein zumindest vorübergehender Abschluss hätte der Geschichte gut getan. So wird Spannung aufgebaut, aber nicht aufgelöst, was beim Lesen frustrieren kann. Zudem hat der Autor nicht die einfühlsame Schreibweise angewendet, die dem Vorgänger “Brooklyn” seinen Zauber verliehen hat. Hoffentlich lässt Band 3 nicht lange auf sich warten.
“Long Island” ist als Hardcover bei Hanser erschienen und kostet 26 Euro.