M94.5 Albenreview
Little Simz – Sometimes I Might Be Introvert
Little Simz legt trotz ihrer steilen Karrieresprünge eine beeindruckende Entwicklung hin. Sie kehrt auf Sometimes I Might Be Introvert stilistisch zu ihren früheren Projekten zurück, begeht aber auch ähnliche Fehler.
Zwei Jahre ohne Tour haben den meisten Bands den Wind aus den Segeln genommen. Sängerin, Rapperin und Schauspielerin Simbiatu Ajikawo lässt sich ihre Erfolgssträhne allerdings nicht von einem Virus versauen und hebt ihr aktuellen Projekt Sometimes I Might Be Introvert trotz Hype und einer enormen Fallhöhe auf das größtmögliche Niveau. Die Londoner Rapperin mit nigerianischen Wurzeln versucht sich wieder an ihrem bekannten Albenaufbau und zeigt gleichzeitig was sie in ihren letzten Jahren im internationalen Rampenlicht lernen konnte.
Schwarzweiß wird zu Neonlicht
Der Name des Albums stellt eine Vermutung in den Raum die schon vor zwei Jahren bestätigt wurde. Little Simz hat ihr gesamtes letztes Album ihrer Gefühlswelt und ihren Selbstzweifeln gewidmet. Wie kann sich die 27-Jährige also noch introvertierter darstellen? Indem sie den Maßstab ändert! Anstatt alles in der grauen Welt ihrer Melancholie geschehen zu lassen, weitet sie die Linse auf den gesamten Globus und wieder zurück. Eine Abrechnung mit der korrupten Elite auf dem Opener, niederschlagende Nachrichten an ihre Schwester auf dem Closer, aber dazwischen – Schwäche ist was für Verlierer – auch ein paar stumpfe Mantren der Leistungsgesellschaft. Die inhaltliche Ambivalenz bringt Little Simz zwischen den Songs zwar thematisch ins Wanken, nicht aber musikalisch.
Drumbeats und Orchester
Eine gemeinsame Tournee mit den Gorillaz und weltweite Coverage haben ihr eine enormen Zuwachs an Hörer:innen beschert. Am meisten freuen dürften sich über das Album zur Abwechslung aber mal die langjährigen Fans. Filmisch inszenierte (und ein wenig prätentiöse) Interludes, vielschichtige Melodien und ihre begnadete Technik ist all das was Little Simz ihre ersten Erfolge brachte. Das Niveau ist mit, dem ähnlich aufgebauten, vorletzten Album, Stillness in Wonderland, aber nicht mehr zu vergleichen. Anerkennung dafür verdient auch Londoner Indie-Producer Inflo. Die beiden kennen sich theoretisch seit der Kindheit haben aber erst 2018 in L.A. zueinander gefunden und bewiesen, dass sie ein perfektes musikalisches Match sind. Zu ihren typischen Pop und RnB Einflüssen kam dank Inflo eine ganze Palette an schmutzigen Gitarren, afrikanischer Percussion und verträumten Neo-Soulklängen.
Zu viel Platz für zwei Welten
Die Albenlänge fasst die Ambitionen des Albums gut zusammen. 19 Songs und eine gute Stunde Laufzeit braucht es, um die Welten von ‘Simbi’ und Little Simz zusammenzubringen. Highlights gibt es einige auf dem Album; „I Love You, I Hate You“ behandelt in einem dichten, drum- und streichergetriebenen Song die Hass-Liebe zu ihrem abwesenden Vater. Auf „Little Q“ unterlegt sie die erschreckenden Erinnerungen an ihre benachteiligte Kindheit mit hoffnungsvollen Beats aus den frühen 2000ern und schafft selbst den stilgetreuen Kinderchor gelungen einzubauen. Auch die musikalisch oder inhaltlich flacheren Songs, wie der 80s-Club-Hit „Protect My Energy“, lockern das Album mit erfrischend anderen Instrumentals und schnellen Stimmungswechseln auf. Bei so vielen Songs recyclet die Rapperin dann aber doch ein paar Ideen ohne viel Neues oder interessantes zu bieten, wie schon auf dem dritten, eher schleppenden Track, „Two Worlds Apart“.
Synthese
Little Simz schafft es sich ihren Markensound zu erhalten und auf das bisher beeindruckendste Niveau ihrer Karriere zu heben. Mit Sometimes I Might Be Introvert haben sie und ihr Produzent Inflo bewiesen, dass das letzte Projekt, GREY Area, kein Ausnahmefall war, sondern erst die Kostprobe eines breit aufgestellten und enormen Potenzials. Nur unter der thematischen und tatsächlichen Größe der Platte leidet das Album zeitweise. Für langjährige Fans kein Problem, neue könnten aber die prägnante und fast makellose Tracklist des letzten Albums vermissen.
Sometimes I Might Be Introvert ist am 03.09.2021 über Age 101 erschienen