Bild: Sylvie Ann Paré

DANCE 2019

Les 24 Préludes de Chopin // Henri Michaux: Mouvements

/ / Bild: Sylvie Ann Paré

Den beiden Choreographien der Kanadierin Marie Chouinard ist trotz ihrer Verschiedenheit eines gemein: ihre beeindruckende Intermedialität. In der Auseinandersetzung mit Chopins Klaviermusik und Henri Michaux’s Malerei zeigt Chouinard, dass Tanz nicht nur expressiver Ausdruck, sondern auch Erkenntnismedium sein kann.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen
Trailer zu Les 24 Préludes de Chopin // Henri Michaux: Mouvements

Was Musik in uns auslöst? – Dafür fehlen uns oft die Worte. Wer schon einmal Chopins 24 Präludien für Klavier gehört hat, kennt vielleicht das unbeschreibbare Gefühl, welches die unzählbaren Tastenläufe, die An- und Abstiege zwischen sanft und akzentuiert, Wehmut und Leidenschaft in einem erzeugen. Der Hörer wird hineingezogen in eine Welt der Töne, die sich ihm zuweilen fast gewaltsam ermächtigen kann und doch zugleich nur Produkt von seinen eigenen Assoziationen ist. Musik ist nicht beschreibbar, aber ‚betanzbar‘ – das beweist Marie Chouinards bereits 1999 entstandene Produktion Les 24 Préludes de Chopin.

Mit dem Tanz die Musik lesen

Die zehn Tänzer von Chouinards Ensemble bewegen sich in minimalistischen, transparenten Bodies auf der in dunkles Licht getauchten Bühne. Mal in der Reihe, mal alleine, mal versetzt, erscheinen sie als einzelne Glieder eines größeren Organismus. Ihre teils instinktartig repetitiven, teils fließenden Bewegungen erinnern an etwas urtümlich Elementares und zugleich kindlich Naives. Klassische Figuren werden durch animalisch-imitative Elemente ergänzt. Die muskulösen Körper – von dem gezielt eingesetzten Bühnenlicht akzentuiert – erscheinen oftmals wie von höheren elementaren Kräften getrieben oder gegen sie ankämpfend. Sie winden sich, hacken und strampeln mit Händen und Füßen und zeigen durchlange, gleitende und stolze Bewegungen natürliche Anmut. Zwischen Tanz und Musik entsteht ein Verbindung, die nicht nur die Form von Chopins Präludien – die Tastenläufe – visualisiert, sondern im tänzerischen Ausdruck ein Pendant zu der Wirkung der Musik bietet. Die Musik und Chouinards Choreographie erzeugen gemeinsam einen ganz eigenen Kosmos, der nicht weniger unbeschreibbar ist, dafür jedoch neben den Ohren auch mit den Augen erfahrbar wird.

Henri Michaux: Mouvements

Heftige und monotone Elektromusik, eine grelle weiße Bühne und Tänzer in arm- und beinlanger schwarzer Kleidung. Stärker könnte der Kontrast zu Les 24 Préludes de Chopin auf den ersten Blick nicht sein. Und doch folgt Chouinards Adaption des Büchleins Mouvements des französischsprachigen Dichters und Malers Henri Michaux (1899-1984).  In dem Büchlein finden sich über 60 reduktionistisch anmutende Tuschezeichnungen von sich bewegenden Körpern oder Formen, die Michaux alle im Meskalinrausch angefertigt haben soll. Wie Chopins Präludien nutzt Marie Chouinard auch Michaux’s Mouvements als Partitur einer Choreographie. Und tatsächlich entsteht eine einmalige Verschmelzung von bildender Kunst und Tanz. Während Michaux’s Zeichnungen auf den weißen Hintergrund projiziert werden, empfinden die Tänzer diese nach. Was auf dem Papier als angedeutete Bewegung erscheint, wird auf der Bühne zum Leben erweckt. Die rauschhafte Obsession mit Bewegung und Körper, die Michaux’s Buch zugrunde liegt, führt auf der Bühne zu einer exzessiven Steigerung der sich windenden, biegenden und schwingenden Körper.

Tanz als Erkenntnismedium

Das beeindruckende an Chouinards Choreographien ist nicht allein die außerordentliche tänzerische Leistung, sondern vielmehr das Potenzial, das der Kunstform Tanz beigemessen wird. Tanz wird zum Erkenntnismedium. Die Impulse, die man beim Musikhören oder beim Betrachten eines Bildes in Geist und Körper vernimmt, denen man aber meist nicht aktiv folgt, setzen Chouinards Tänzer in Bewegung um. Es entsteht ein unbeschreibar eindrücklicher und befreiender Moment der Selbstbegegnung und Selbstgewahrung in der Kunst. Sowohl für die Tänzer als auch für uns – die Beobachter!

Les 24 Préludes de Chopin // Henri Michaux: Mouvements wird am 19.05. und 20.05. im Rahmen des DANCE-Festivals aufgeführt.