Buchkritik

Laufendes Verfahren

/ / Bild: S. Fischer

Am 11 Juli 2018 werden nach 5 Jahren Verhandlung 5 Mitglieder der Terrororganisation NSU zu Haftstrafen verurteilt. Der NSU-Prozess gilt als einer der wichtigsten Strafprozesse seit der Wiedervereinigung. Für die Autorin Kathrin Röggla ist der Fall damit aber noch nicht abgeschlossen. Warum, und wie wir Laien den Prozess beobachten, beschreibt sie in ihrem Roman “Laufendes Verfahren“.

Zwar werden die 204 Seiten als Roman bezeichnet, es ist aber klar, dass Röggla den real stattgefundenen Strafprozess im Oberlandesgericht München meint, bei dem Beate Zschäpe und 4 weitere Mittäter angeklagt waren. Röggla ist selbst weder Juristin noch Journalistin, weshalb die Perspektive ihres Protagonisten die eines Laien ist, der den Prozess vor allem aus Neugier verfolgt. Nicht aus dem Gerichtssaal, sondern von der Zuschauertribüne aus.

Es wird ein Buch über diesen Prozess geschrieben worden sein

Das Buch ist, anders als zu erwarten, nicht in der Vergangenheitsform erzählt, sondern es wechseln sich Präsens- und Zukunftsformen ab. Das ist ein cleveres Stilmittel, hemmt aber den Lesefluss an manchen Stellen deutlich, da viele Sätze sehr kompliziert konstruiert sind. Die Wahl, die Geschichte aus einer Wir-Perspektive zu erzählen, ist neu und erfrischend. So wird das Bild einer gesichtslosen Masse, die diesen Prozess verfolgt, ohne wirklich etwas davon zu verstehen, perfekt transportiert. Die Lesenden bekommen schnell das Gefühl, selbst Teil dieses Wir-Erzählers zu sein. Auch wenn diese Stilmittel in erster Linie gut durchdacht sind, stehen sie manchmal einer zugänglicheren und schöner zu lesenden Schreibweise im Weg.

Die Autorin Kathrin Röggla
Bild: Jessica Schäfer https://www.kathrin-roeggla.de/biobib

Verständnis- und Machtlosigkeit

Auch wenn der Roman an erster Stelle eine Beobachtung des deutschen Justizsystems ist, kommt die darin enthaltene Kritik immer wieder zum Vorschein. Die Verhandlung kommt nur langsam zu Ergebnissen, den Täter:innen wird zu viel Raum zugesprochen, den Hinterbliebenen der Opfer zu wenig. Die Medien verzerren den Prozess. Doch gleichzeitig werden diese Punkte auch stets von anderen Zuschauenden auf der Tribüne relativiert oder bestärkt. So schafft die Autorin es, die verschiedensten Perspektiven und Ansichten darzustellen. Doch all diese Figuren inklusive des Wir-Erzählers können nur zusehen und nicht eingreifen. Sie müssen hinnehmen, was im Gericht entschieden wird, ohne darauf Einfluss nehmen zu können. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit, besonders im Bezug auf das im NSU-Prozess viel besprochene Versagen verschiedenster Behörden, ist so einnehmend, dass beim Lesen oft nicht klar ist, ab man nun lieber lachen, weinen oder schreien soll.

Das Gericht ist kalt

Trotz der sehr klaren Beobachtung, die mit viel Geschick zu Papier gebracht wurde, bleibt alles dennoch kalt und statisch. Weder die Protagonist:innen noch die anderen Figuren der Tribüne haben wirklichen Charakter. Schon ihre Bezeichnungen als “O-Ton Jurist” oder “Bloggerklaus” legen nahe, dass es sich um Typen und nicht wirklich um Figuren handelt. So bleibt “Laufendes Verfahren” ein faszinierendes Buch, dass aber durch seine Komplexität, seine Gesichtslosigkeit und vor allem sein Kälte und Statik beim Lesen nicht dazu einlädt, es rasch zu verschlingen.

“Laufendes Verfahren” ist als gebundene Ausgabe beim S. Fischer Verlag erschienen und kostet 24€.