Kommentar

Oben ohne in Göttinger Freibädern? Das reicht nicht!

/ / Bild: M94.5 / Vroni Kallinger

Sobald die Temperaturen wieder steigen, haben nicht alle dieselben Möglichkeiten zum Sonnen: Wenn andere außer Männern ihre Shirts ausziehen, wird ihnen Belästigung vorgeworfen. In Freibädern in Göttingen heißt es aber seit gestern: Free all nipples. Kerstin Thost reicht das aber nicht aus.

“Gleiche Brust für alle”

Eine non-binäre Person hat sich letzten Sommer obenrum im Freibad entkleidet, worauf ein Hausverbot folgte. Jetzt erstritt sie mit der Gruppe namens “gleiche Brust für alle” die Regelung, die vorerst bis Ende August gilt: An Wochenenden dürfen alle oben ohne baden.

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Wieso ist die männlich gelesene Brust eigentlich keine Belästigung? Immerhin sind Brüste bei allen Geschlechtern erogene Zonen. Hängt die unterschiedliche Bewertung vielleicht von der Größe ab? Auch Männer mit größeren Brüsten müssen diese nicht verdecken! Das Gesetz unterscheidet zwischen primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen. Sekundäre Geschlechtsmerkmale sind Brüste, die später Milch produzieren könnten. Sie wachsen bei Personen, bei denen die Pubertät durch Östrogen gesteuert wird.

Körper sind in einer sexistischen Gesellschaft nicht wirklich frei

Es geht jedoch nicht bloß um Nacktheit, sondern um Sexualisierung! Brüste gelten gesellschaftlich nicht als neutraler Körperteil, sondern als Objekt von Begierde. Das zeigen auch Kommentarspalten der Meldung aus Göttingen: Dort tummelten sich Männer, die Wochenendausflüge in eines der Göttinger Freibäder planen, um Brüste zu sehen. Das zeigt, wie tief das Problem der Objektifizierung sitzt: Die Sexualisierung sieht Frauen nicht mehr als Menschen, sondern nur als  Sexobjekte.

Außerdem identifizieren sich nicht alle Personen mit Brüsten als sekundäre Geschlechtsmerkmale als Frau. Die neue Regelung aus Göttingen ist einer non-binären Person zu verdanken. Trotzdem wird die Debatte jetzt wieder über die Gleichberechtigung von nur zwei Geschlechtern geführt. Genderqueere Personen werden ein weiteres Mal unsichtbar gemacht. Der Fall erinnert uns auch an folgendes: Wir können Identität nicht von außen “ablesen” – am besten noch an der Brustgröße. Deshalb ist eine Regelung, die keinen Unterschied zwischen Gendern macht, am wenigsten diskriminierend: “No nipple is free until all nipples are free!” Also Freiheit im Sinne von freier Wahl, nicht von neuem Zwang.

Keine neuen Diskriminierungen produzieren!

Aber für echte Fortschritte bräuchte es zusätzlich ein Fotoverbot in den Freibädern, um die oben ohne badenden Personen zu schützen. Das gilt an den meisten FKK Stränden und Liegewiesen, damit nicht heimlich unfreiwillige Nacktfotos aufgenommen und verbreitet werden können. Sexualisierung und Fetischisierung werden in der Göttinger Regelung nämlich nicht verhindert. Oder können sich belästigte Personen auch für Hilfe an die Bademeister:innen wenden? Es darf nicht heißen: “Selbst Schuld, dass du fotografiert wirst, wenn du dich ausziehst”? Wir dürfen die neue Freiheit nicht einfach nur feiern, sondern müssen weiter gegen Diskriminierungen ankämpfen. Wenn wir sagen, “Queers und Frauen dürfen jetzt oben ohne baden, also haben wir kein Sexismus-Problem mehr”, bleibt die Veränderung nur oberflächlich.