Social-Media-Hypes im US-Wahlkampf
“Jetzt kommt die TikTok-Wahl”
„Kamala is brat“, „coconut tree“ oder “They’re eating the dogs” – Social Media hat den US-Wahlkampf neu entfacht. Prof. Dr. Jungherr zeigt, wie digitale Plattformen und ihre viralen Hypes die Politik prägen.
Clips und Edits von Kamala Harris oder Donald Trump fluteten diesen Sommer die Feeds von so ziemlich allen sozialen Plattformen. Etliche Nutzer:innen remixen die Auftritte oder Reden der Kandidierenden – teilen, liken, sharen sie.
Aber was bedeutet Social Media für die Kampagnen-Teams, wie verändert sich der traditionelle Wahlkampf dadurch? Und: Kann der große Hype auf Social Media überhaupt beim Rennen ums Weiße Haus helfen? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Andreas Jungherr gesprochen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesondere Digitale Transformation, an der Universität Bamberg.
Wenn man sich den derzeitigen US-Wahlkampf anschaut, wirkt es fast wie ein Rennen um den nächsten viralen Trend oder die meisten Clicks. Auch in den vorherigen Präsidentschaftswahlen der USA wurde zunehmend auf die Soziale Medien gesetzt. Stirbt der klassische Wahlkampf langsam aus, also Fernsehspots, der Tür-zu-Tür-Wahlkampf oder Telefonkampagnen?
Grundsätzlich findet Wahlkampf auf unterschiedlichen Kanälen und mit unterschiedlichen Zielgruppen statt. Die Ziele sind aber ähnlich. Es geht darum, die Kandidaten einer Kampagne an die Menschen heranzubringen. Für bestimmte Regionen und Zielgruppen ist es immer noch das regionale Fernsehen und für andere ist es dann eben der digitale Raum.
Und da kann man schon sagen, dass die aktuellen Formen des Social-Media-Wahlkampfs sich von denen von vor vier oder acht Jahren unterscheiden. Die Nutzung von Social Media hat sich aber auch einfach verändert. Wir sind von einer Text basierten zunehmend auf eine Kommunikationsform übergelaufen, die auf Bildern und Videoclips basiert. Und das heißt, ich muss mich als Kandidat anpassen. Was auf Social Media stattfindet, ist aber nicht notwendigerweise das direkte Ringen um Wählerinnen und Wähler, sondern es ist ein sehr wichtiges Schaulaufen gegenüber den professionellen Beobachterinnen und Beobachtern.
Wahlkampf ist Wahlkampf und das Ziel vom Wahlkampf ist halt immer noch dasselbe, was es vor 100 Jahren war. Es geht darum, dass Sie am Wahltag oder zu Beginn der Briefwahl eben ihre Unterstützerinnen und Unterstützer mobilisieren, dass sie für sie tatsächlich die Stimme abgeben. Und das schaffen die Parteien über unterschiedliche Wege.
Auf den sozialen Plattformen geht es stark um Bild- und Video-Content. Gehen die Republikaner und Demokraten da auf gleiche Weise mit der Zeit?
Wenn man sich die Republikanische Partei und Donald Trump anschaut, haben wir es hier noch mit demselben „Playbook“ zu tun haben, mit dem er 2016 sehr erfolgreich gearbeitet hat, um die Medien-Agenda zu beeinflussen. 2016 war eine sehr spannende Wahl und eine spannende Nutzung von Twitter, weil wir es mit einem Kandidaten zu tun hatten, der ganz bewusst provoziert hat, der über die Linie gegangen ist, auf erschreckende Weise unterhaltsam war und damit immer auf Medienberichterstattung setzen konnte. Denn die Medien konnten so immer wieder Klicks generieren. Das hat für ihn sehr gut funktioniert und das versucht er auch weiterhin.
Ich weiß nicht, ob es aktuell so gut funktioniert, weil seine Kommentare inzwischen von den Medien häufig gar nicht als ernstzunehmende Beiträge wahrgenommen werden, sondern häufig auch als Unwahrheiten pathologisiert werden. Insofern würde ich sagen, sein „Playbook“ funktioniert nicht mehr ganz so, wie es das mal hat.
Und auf der anderen Seite sehen wir mit Kamala Harris und ihrem Team eine sehr bewusste und auch sehr zeitgerechte Nutzung von Videoinhalten, von kurzen Clips, von einer sehr aktiven professionellen Videobegleitung von ihr selbst und von Kernelementen der Kampagne, die dann in kurzen Schnipseln sehr teilbar aufgearbeitet werden. Hier haben wir es mit dem aktuellen Nutzungsverhalten von vielen jüngeren Menschen zu tun.
Vor allem TikTok gilt ja eigentlich als Plattform für jüngere Menschen. Aber die digitale Kampagne von Harris hat es diesen Sommer geschafft, einen beinahe gesamtgesellschaftlichen Hype zu entwickeln. Haben junge Menschen und Social Media in den USA tatsächlich so einen großen Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Stimmung?
Da wäre ich ein bisschen skeptisch. Allein wegen den demographischen Zahlen, aber auch weil sich junge Menschen in der Regel noch nicht so stark in die Politik einbringen. Insofern ist deren öffentlicher Einfluss auch ein Stück weit begrenzt.
2008 hatten wir mit Obama die Organizing- und dann 2012 die Daten-Wahl. Bei Trump 2016 hat man dann von der Twitter-Wahl gesprochen. Und Biden setze 2020 während Corona auf Zoom. Und jetzt? Jetzt kommt eben die TikTok-Wahl. Die Kampagnen suchen immer nach einer Geschichte, was so eine Wahl erfolgreich macht, und dafür brauchen sie auch ein Kommunikationsmittel oder einen Kommunikationsweg, der neu und charakteristisch ist.
Wie schafft es der digitale Hype dann, auch offline die Gesellschaft so anzustecken?
Was die Parteien auf TikTok oder Instagram ausspielen, wird stark durch Medien aufgegriffen. Diese viralen Clips werden in Artikeln eingebunden, werden im Fernsehen ausgestrahlt und das ist natürlich für die Kampagnen „Earned Media“, also sie bezahlen nicht dafür. Weil sie aber interessanten Content geschaffen haben oder weil sie eine interessante Geschichte erzählen, wird das aufgegriffen und die Medien verbreiten es für sie besser und auch günstiger, als wenn sie selbst Werbeclips schalten müssten.
Insofern haben junge Menschen hier einen gewissen Einfluss, weil nämlich das, worauf sie in den sozialen Medien reagieren, wichtig für die Parteien ist, um erfolgreich auf dem Kanal auszusehen, um so dann in die Medien zu kommen und Sichtbarkeit bei den Wählerinnen und Wählern insgesamt zu bekommen.
Der große Erfolg von Social-Media-Kampagnen kommt also erst mit den klassischen Medien, durch die weitere Berichterstattung in Fernsehen und Zeitungen?
In den USA misst sich der Erfolg einer Wahlkampagne an sehr gezielten Ressourceneinsatz, mit denen ich entscheidende Wahlkreise gewinne. Das erfordert ein sehr strategisches Vorgehen. Was wir auf Social-Media sehen, trägt dazu nur indirekt bei. Ich glaube, da gibt es auch ein gewisses Risiko, wenn eine Kampagne zu stark auf Social Media schaut. Dann kann es sein, dass es nach einem total überwiegenden Momentum aussieht, aber wenn sich das dann nicht auf meinen Swing State Wahlkreis überträgt, dann bringt mir das halt exakt gar nix. Der Erfolg der Kampagne hängt immer davon ab, wie man zum Wahltag hin mobilisiert.
Trotzdem ist es wichtig für die Harris-Kampagne, jetzt sehr viel positive Medienberichterstattung zu sehen, sehr viel positive Energie, auch bei Unterstützern und sehr viel Momentum auf Social Media zu bekommen. Aber in den Umfragen ist es immer noch sehr eng. Es ist bei weitem nicht so, dass man hier von einem überwiegenden Erfolg oder eindeutigen Sieg ausgehen kann. Insofern ist es sehr wichtig zu differenzieren zwischen dem Erfolg von der Kampagne und dem, was man auf Social Media sieht.
Wenn man diese Unterscheidung getroffen hat, dann kann man tatsächlich auch sagen, dass der Beitrag, den meine Social-Media-Aktivität für meinen Wahlkampf leistet, überwiegend über Medien vermittelt wird. Hier ist es eben wichtig auf Social-Media stark zu sein, um eine schöne Geschichte zu erzählen, um dann in die Medien zu kommen. Dann entsteht ein selbstverstärkender Zirkel.
Neue Technologien wie Chatbots oder Augmented Reality könnten die Zukunft der US-Wahlkämpfe stark verändern – Künstliche Intelligenz wird auf Social-Media bereits häufig verwendet. Trump zum Beispiel, postete Mitte August auf X ein AI-generiertes Bild einer dunkelhaarigen Frau vor einer Menge mit kommunistischer Flagge im Hintergrund. Gemeint war offensichtlich Kamala Harris. Wie könnten diese Technologien die US-Wahlen in Zukunft verändern?
KI ist ein sehr spannendes Werkzeug für die Kampagnenführung. Als Prototyp wird das aktuell in den US-Wahlen zwar diskutiert, aber noch nicht in der Breite eingesetzt. Teilweise sehen wir den Einsatz von bildgenerierten Verfahren. Da geht es aber in der Regel nicht darum, dass Wählerinnen und Wähler wirklich überzeugend getäuscht werden, sondern…
Aber da sieht man spannende Dynamiken, die dann auch nicht unbedingt so laufen, wie sich die Urheber das vorgestellt haben. Also wenn man jetzt an die Taylor Swift Fakes von der der Trump Kampagne denkt, die suggeriert haben, dass die Sängerin oder ihre Fans eben Trump unterstützen würden, während der demokratische Nominierungsparteitag lief.
Das war der Versuch zu stören und ein Stück weit stärker auch die Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber das scheint letztlich eine Rolle darin gespielt zu haben, dass die Sängerin sich tatsächlich politisch positioniert hat, und zwar für die gegnerische Kandidatin.
Auf der anderen Seite wird auch stark darüber diskutiert, wie KI im Hintergrund Kampagnenorganisation und die Kampagnenarbeit erleichtern kann, sei es in der Textgenerierung oder in der Variation von Social Media Share-Pics. Das sind alles interessante Prozesse. Da ist mein Gefühl, dass die Kampagnen sowohl in den USA als auch in Deutschland noch ein stückweit vorsichtig sind, weil es gesellschaftlich noch nicht verhandelt ist, wie sehr KI von den Kampagnen genutzt werden sollte.
Ein anderer wichtiger Faktor ist auch, wie die Beratungsfirmen der Kampagnen bereits KI-basierte Werkzeuge anbieten oder entwickeln. Insofern haben wir es sicherlich mit einer Technik zu tun, die die Art, wie Kampagnen gestaltet werden und wie für sie gearbeitet wird, verändern. Aber wir sind wahrscheinlich noch sehr früh im Innovationszyklus und werden das dann stärker über die nächsten Jahre sehen.
Auf Instagram, Facebook, TikTok oder X posten vor allem private User:innen. Digitale Trends sind kaum vorhersehbar, höchstens durch den Algorhytmus der Unternehmen beeinflusst. Auch die ersten Memes und Edits von Harris, die den ganzen digitalen Hype um ihre Kampagne starteten, wurden von privaten Accounts erstellt. Gerät ein Wahlkampf, der zunehmend auf diesen wenig kontrollierten Plattformen funktioniert nicht aus den Händen der Politik?
Wenn man an die Zeit der Blogs und Foren zurückdenkt, da wurde Social Media immer als etwas Demokratisierendes diskutiert, womit Bürgerinnen und Bürger endlich die Möglichkeit haben, selbst Themen zu setzen, zu diskutieren und alternative Meinungen darzustellen.
Je mehr sich nun die Parteien auf digitale Inhalte einlassen, desto mehr sind sie auch darauf angewiesen, dass sie aufgegriffen werden, dass sie verstärkt werden und Content Creator oder Influencerin oder Influencer selbst Inhalte schaffen, die sich an ihnen positiv abarbeiten. Und das heißt natürlich, dass sie da ein Stück weit Kontrolle abgeben.
Gleichzeitig ist das natürlich alles sehr kontrolliert und sehr inszeniert. Diese Vorstellung, dass Sie es auf Social Media mit einem radikalen Bottom-Up Prozess zu tun haben, der die Macht der Parteizentralen bricht, da wäre ich ein stückweit skeptisch. Was auf Social Media stattfindet, ist mittlerweile doch sehr kommerziell und mit starken kommerziellen Interessen verbunden. Und da hat man es dann auch mit professionellen Akteuren zu tun. Die mögen dann Spontanität und Authentizität nach vorne stellen oder inszenieren, aber das ist eine zur Schau gestellte Authentizität – oder ein zur Schau gestellter Kontrollverlust und eine zur Schau gestellte Offenheit. Wir bewegen uns in einem inszenierten Raum. Das ist auch okay. So findet Wahlkampf auch in den Medien statt, darüber muss man sich bewusst sein.
Sehen Sie die aktuellen Entwicklungen des digitalen Wahlkampfs als förderlich oder gefährlich für die Demokratie?
Ich tue mir immer sehr schwer damit, eine Technik notwendig als etwas Positives oder Negatives einzuordnen. Es hängt immer davon ab, wer sie nutzt und für welche Zwecke sie genutzt wird. Das, was wir gerade sehen, diese Veränderung von Social Media in Richtung Bildmaterialien und die zunehmende Verbreitung der Plattformen stellt auf alle Fälle eine große Herausforderung für Medienproduzenten und für Parteien da. Diese Inhalte zu produzieren, hier Sichtbarkeit zu erreichen und vor allem auch ihre Inhalte adäquat aufzuarbeiten.
Wir sehen aber auch, dass die Kräfte an den politischen Rändern ein höheres Innovationspotenzial haben und insgesamt experimentierfreudiger sind. Deshalb sind sie auf den Plattformen auch sichtbarer. Letztlich kann das dazu führen, dass man nur noch diese radikalen Parteien wahrnimmt. Und das ist natürlich ein Problem.
Im Wesentlichen kommt es darauf an, dass wir als Gesellschaft und das wir uns als Medien, Parteien oder auch als Wissenschaft mit dem Fakt des Lebens auseinandersetzen müssen, dass das unsere Kommunikationsumgebung ist. Damit müssen wir arbeiten. Und letztlich ist es dann auch unsere Aufgabe, zu klären wie wir es nutzen, um die Demokratie zu stärken, wie wir da Präsenz entwickeln und wie wir damit erfolgreich umgehen.
Und dann ist es eben die Aufgabe von Parteien und Öffentlichkeit, das positiv zu nutzen, also die tatsächlichen Chancen, die damit verbunden sind, zu einer Ermächtigung und zu einer Vitalisierung von Demokratie zu nutzen, anstatt immer nur zu rufen: “Foul, Regelverstoß”.
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