Interview mit Wolfgang M. Schmitt

„Jetzt kann man sagen: das klingt alles kulturpessimistisch und ich würde sagen: Ja!“

/ / Foto: Screenshot Die Filmanalyse

Wolfgang M. Schmitt betreibt seit über einer Dekade den YouTube Kanal Die Filmanalyse und im Prinzip macht der Kanal alles falsch, was man als YouTube Kanal falsch machen kann: keine schnellen Schnitte, sondern die immer gleiche Einstellung auf einen Mann im Anzug, der in die Kamera redet; keine leichte Unterhaltung, sondern psychoanalytische und ideologiekritische Theorie, mit der er Filme seziert. Dennoch (oder gerade deswegen) gilt Schmitt als einer der interessantesten public intellectuals Deutschlands. Nun hat er mit Ole Nymoen, mit dem er auch den Podcast Wohlstand für alle macht, ein Buch geschrieben: Influencer. Ideologie der Werbekörper. M94.5 Redakteur Moritz Senft-Raiß hat mit ihm über Influencer, Kulturkritik im Internet und Autos geredet.

Herr Schmitt, gleich als erste Frage: Was sind denn Influencer? Das sind ja eben nicht nur Leute, die andere beeinflussen. In ihrem Buch zitieren sie einen Influencer, der sagt: „So ‘ne Anne Will ist ein Influencer, ich bin ein Influencer, die ›FAZ‹ ist ein Influencer – wir sind alle Influencer, wir alle beeinflussen Menschen.“ Sie widersprechen ihm jedoch in diesem Punkt. Was macht also genau die gesellschaftliche Rolle des Influencers aus?

Ja, das ist eine sehr merkwürdige Definition von Rezo, dass er behauptet alle Leute, die eine gewisse Reichweite oder ein gewisses Publikum haben, Influencer sind. Natürlich beeinflussen solche Menschen auch den Diskurs, aber bei Influencern reden wir ja von Menschen, die vor allem dadurch Geld verdienen, dass sie ihren Alltag, ihren Content – von Inhalten wollen wir da gar nicht sprechen – mit Werbung verknüpfen, dass sie also Kooperationen mit Unternehmen eingehen, und dass das etwas völlig anderes ist als bei einem Journalisten, der kein Geld für eine Meinung bekommt oder für eine Haltung zu einer Sache oder auch einem Produkt, es gibt ja auch Produktjournalismus, der sich mit technischen Dingen beschäftigt, der aber dann nicht gleichzeitig einen Kooperationsvertrag hat mit Apple oder VW und bei Influencern ist genau das der Fall. Und sie beeinflussen ihre Follower im Sinne der Unternehmen, mit denen sie kooperieren, damit die Follower zu Kunden werden und die Produkte, die dort angepriesen werden, auch kaufen.

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Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen stellen auf ihrem Kanal Wohlstand für alle ihr neues Buch vor.

Nun schreiben sie aber weiter in ihrem Buch, dass die Rolle der Influencer geradezu eine reaktionäre ist. Das mag überraschen, denn wenn man sich die Instagram und Twitter Profile dieser Influencer ansieht, dann trifft man besonders häufig auf Hashtags wie #diversity oder #blacklivesmatter oder es wird zu einer nachhaltigen Lebensweise aufgerufen. Wie passt das zusammen?

Es gibt sicherlich Influencer, die haben es verstanden sich einen neuen Markt zu erschließen. Und den bekommt man auch, indem man ein bisschen gesellschaftspolitische Themen mal antippt, aber immer nur dann, wenn die Züge fahren, dann springt man auf und dann ist es auch mal ganz vogue sich für #blacklivesmatter stark zu machen oder hin und wieder gibt es dann auch ein paar feministische Botschaften oder, auch sehr gern gesehen, Reiseinfluencer, die schon vierzig Mal im Jahr geflogen sind und dann sagen: Auch Nachhaltigkeit ist wichtig. Und wer will dem widersprechen? Das ist also etwas, das wir dort erleben, aber zugleich haben wir es mit Bildwelten zu tun, die sich extrem ähneln, die eine große Homogenität darstellen und zwar weltweit. Das war eigentlich das Interessante, wenn man sich mit Influencern beschäftigt, dann ist das keineswegs so, dass man sagen könnte: So sind halt deutsche Influencer, so sind halt europäische Influencer, sondern man kann das doch sehr global sehen wie dort Körperbilder immer wieder reproduziert werden.

Wir haben eigentlich eine große Rückkehr zum Konservatismus, weil nur noch das Private als Privates ausgestellt wird. Wir haben dort dann die Mami-Influencer, wir haben die Frauen Schönheitsbildern entsprechen, die genau die Schönheitsbilder sind, die von Playboy und Hollywood in den Jahrzehnten zuvor tradiert wurden und die hier wieder aufgegriffen werden, die dann noch optimiert werden, etwas hyperreales bekommen dadurch, dass Photoshop die Körper noch eigenartiger wirken lässt. Und bei den Männer erleben wir, dass sie sich immer mehr aufpumpen, immer mehr verhärten, dass wir bei es diesen Fitness-Influencern, die häufig auch noch Finanz Coaches sind, mit Männer zu tun haben, die so eine archaische Männlichkeit dort propagieren und auch verkörpern, die zugleich verquickt wird mit finanziellen Erfolg, so als könne man den Erfolg eines Menschen an den Muskeln ablesen, wenngleich das natürlich voneinander völlig losgekoppelt ist, wenn ich auf der einen Seite Finanz Apps bewerbe, die also überhaupt nichts mit Körpern zu tun haben, und mich zum anderen permanent im Fitnessstudio ausstelle. Und das sind Körperbilder und auch Rollenbilder, von denen man eigentlich schon glaubte sie überwunden zu haben, aber sie kommen jetzt dort wieder. Und man darf sich jetzt nicht täuschen lassen von dem bisschen #diversity. Das ist nur das Fähnchen, das man auch mal raushängt, weil man dort auch noch irgendeine Werbekooperation abgreifen kann. Das hat mit wirklicher emanzipatorischer Politik nichts zu tun.

Was macht das jetzt mit dem Publikum? Denn es scheint so als ob das Verhältnis hierzu im Vergleich zu herkömmlicher Werbung ein ganz anderes ist. Die Influencer scheinen wie sehr gute Freunde, die sich an jeden aus dem Publikum einzeln richtet, obwohl sie gleichzeitig zu tausenden oder Millionen von anderen Leuten sprechen. Was sind die Gefahren hiervon?

Auf meine Freunde höre ich. Und meinen Freunden tue ich auch gewisse Dinge nach, an denen nehme ich mir ein Beispiel. So kleide ich mich vielleicht auch. Oder: Das ist eine gute Idee, so fahre ich auch in den Urlaub. Oder: Ja, das denke ich jetzt auch über politische Zusammenhänge. Das Problem ist nur: Wir haben es hier nicht mit Freunden zu tun, sondern mit sehr fern lebenden Menschen mit Millionen Followern, die überhaupt jegliche Nähe nur suggerieren, aber die ist de facto nicht vorhanden. Und so haben diese Influencer eine extreme Macht über die Follower, weil künstlich eine Nähe hergestellt wird, die es eigentlich gar nicht gibt. Dadurch sind sie auch so effektive Werbekörper. Sie können also damit sofort den Konsumenten erreichen und abholen und dazu bringen, dass er jetzt im Onlineshop etwas bestellt. Das ist bei einer normalen Zeitungsanzeige viel, viel schwieriger. Da ist ein viel größerer Umweg. Es ist viel indirekter und man weiß gar nicht wie sehr es wirkt. Das birgt aber der Gefahr einer hohen Abhängigkeit.

Und das kann man sehr gut in den Kommentaren sehen. Gerade bei Fitness Influencern, männlichen wie weiblichen. Bei den Kommentaren geht es ganz oft darum, dass die Follower dort sagen sie sind noch nicht soweit, sie haben es noch nicht geschafft. Mein Po ist nicht so straff. Mein Bauch ist nicht so flach. Meine Muskeln sind nicht so dick. Da muss ich noch weiter machen. Toll wie du das geschafft hast mit der Diät. Sollte ich mir auch die Lippen aufspritzen lassen? Und das ist etwas, das vor allem ein junges Publikum permanent dazu anleitet sich selbst zu optimieren, sich zu vergleichen und sich ständig als mangelhaft wahrzunehmen, da natürlich diese Influencer auch nur dafür Leben, dass sie so aussehen, während sie aber zugleich so tun als wären sie wie du und ich. Wir erleben diesen Mangel natürlich auch in anderer Weise in den üblichen Medien. Wir wissen, das wir nicht so gut Fußball spielen können wie die Herrschaften von der Bundesliga, aber wir wissen da ist eine Distanz. Der Bundesliga Fußballspieler sagt mir nicht: Ja, streng dich mal ein bisschen an, trainier mal täglich und dann bist du auch so gut wie ich. Hier glaubt man aber: Ich kann es auch schaffen und wenn ich nicht so sein kann wie die, dann bin ich ein Versager. 

Sie sprechen ja auch von der Demokratisierung des American Dream.

Diese Demokratisierung des American Dream ist eine scheinbare. Zunächst einmal gibt es da eine gewisse Demokratisierung, da es keine Gatekeeper mehr gibt. Zumindest in den Anfangsjahren einer Plattform ist dort die Möglichkeit gegeben, dass man entdeckt wird von einem Publikum, von dem man gar nicht ahnte, dass es das gibt. Und man hat die Chance aufzusteigen und man muss sich nicht mit Chefredaktionen herumschlagen, man muss sich nicht mit Agenten herumschlagen, man hat keinen Produzenten, der dies oder das von einem will. Da ist erstmal eine Demokratisierung da.

Aber natürlich kann eine solche Demokratisierung nur in sehr limitierter Weise von statten gehen, da die Aufmerksamkeitsökonomie auch pyramidenförmig ist, auch wenn da die Spitze vielleicht etwas breiter ist als sonst, ist sie pyramidenförmig und das bedeutet nicht jeder kann Influencer sein auch wenn das so dargestellt wird, denn man braucht ja vor allem ein großes Publikum, damit man Influencer ist. Wir können ja keine Republik haben, in der tausend Leute tausend Leuten folgen und das geht dann immer so weiter oder wir haben achtzig Millionen Bürger und diese sind alle Influencer und folgen sich gegenseitig. So würde kein Markt funktionieren. Es geht nur so, dass es dann zwei-, dreitausend Influencer gibt und diese werden dann als das angesehen, was man schaffen könnte, wenn man sich nur redlich bemüht.

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Wolfgang M. Schmitt auf seinem Kanal Die Filmanalyse.

Nun sind sie vielleicht kein Influencer, Herr Schmitt, aber Sie haben sicherlich eine Plattform im Internet. Sie sind seit einem Jahrzehnt auf YouTube mit ihrem Kanal die Filmanalyse. Im Zeitmaß der Sozialen Medien ist dies eine Ewigkeit. Und in letzter Zeit kamen auch immer mehr weitere Formate hinzu wie Wohlstand für alle zusammen mit Ole Nymoen, der auch das Buch mitgeschrieben hat. Haben sie einen bevorzugte Bezeichnung zu dem was sie tun?

Ich neige jetzt zum Spaß dazu, wenn ich irgendwo im Hotel mal noch den Beruf angeben muss YouTuber hinzuschreiben, weil das ein wenig ulkig ist. Obwohl das, was ich mach, nichts mit dem YouTuber Business an sich zu tun hat. Ich weiß gar nicht was das ist. Und mir war auch gar nicht klar, dass das einmal diesen Weg nehmen wird. Ich habe Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und dachte für jemanden wie mich gibt es eigentlich nur die akademische Laufbahn und vielleicht kann man dann noch als Kritiker im Radio oder Fernsehen tätig sein. Dass das so eine Sache wird, dass intellektuelle Inhalte im Internet möglich sind und dass sie auch so möglich sind, dass man quasi ein eigenes Unternehmen aufmacht, also, dass man sich selbst dann managet und dann ein Publikum hat, das nicht jetzt durch eine Agentur organisiert wird oder dass man nicht wieder an irgendetwas angedockt ist, das habe ich mir so nicht vorgestellt. Das hat sich so entwickelt und auch peu a peu, muss ich dazu sagen. Es war ja keineswegs so, dass ich gestartet bin und dann hatte ich gleich tausende Zuschauer. Überhaupt nicht. Denn bei dieser Aufmerksamkeitsökonomie wird sonst mit dem Matthäusprinzip vorgegangen: Wer hat dem wird gegeben. Und was sich durchsetzt ist alles, was möglichst blöd ist. Das ist definitiv so.

Das heißt es ist eine Nische, dass auch andere Inhalte stattfinden können wie zum Beispiel meine Filmanalyse oder der Wirtschaftspodcast mit Ole Nymoen. Aber das ist nicht, was die meisten Leute konsumieren. Die meisten Leute im Internet konsumieren wie irgendwelche YouTuber in Nutella baden. Und am nächsten Tag machen die das mit Wackelpudding. Und dann kommt jemand noch auf eine geniale Idee man könnte es noch mit Erdnussbutter machen. Das ist die kreative Leistung, die diese Entertainer erbringen. Und jetzt kann man sagen: das klingt alles kulturpessimistisch und ich würde sagen: Ja! Da besteht auch aller Grund kulturpessimistisch zu sein, denn wir haben eine extreme Verflachung auch der Unterhaltung.

Wir haben jetzt auf der einen Seite intellektuelle Inhalte extrem marginalisiert. Auf der anderen Seite haben wir auch auf der Unterhaltungsschiene eine extreme Verflachung in den vergangenen Jahren erlebt. Wenn man sich das ansieht mit wie viel Aufwand früher Comedy Shows geschrieben waren, mit wie viel Aufwand irgendwelche Schlager produziert und wie gut sie mitunter handwerklich gemacht sind. Und wenn man sich dann ansieht was bei YouTube, was bei TikTok erfolgreich ist, und dass es bei Instagram reicht seinen belanglosen Körper jeden Tag neu in die Kamera zu halten, dann muss man schon sagen: Es ist schlechter geworden. Auch das Mittelfeld ist schlechter geworden. Auch die U-Kultur ist schlechter geworden. Es ist nicht nur so, dass die E-Kultur immer weniger stattfindet. Auch die U-Kultur und die U-Musik auch ist sehr viel grässlicher geworden. Und ich kann auch sagen: Ole Nymoen und ich haben bei diesem Buch auch schlimm leiden müssen. Denn wir haben uns ja täglich diesem Wahnsinn ausgesetzt.

Um vielleicht auch noch einmal auf die Möglichkeiten wie Kulturkritik im Internet stattfinden kann zurückzukommen. Mir würde beispielweise auch noch Mark Fisher einfallen, der lediglich zwei schmale Bände zu Lebzeiten veröffentlicht hat, aber ein riesiges Volumen an Texten in seinem Blog k-punk und heutzutage als einer der größten britischen Denker des 21. Jahrhunderts gefeiert wird. Wie würden sie also heutzutage das Potenzial der Kulturkritik im Internet und bei YouTube als Plattform im speziellen einschätzen?

Das ist definitiv die Zukunft. Denn tiefere Auseinandersetzung, Kulturkritik, die benötigt Platz. Und da wird es schwierig in Zeitungen genügend Raum zu finden, um wirkliche Gedanken auszubreiten. Daher erleben wir ja im Feuilleton eine ganz starke Polarisierung. Jede Woche erscheint entweder der Artikel für Identitätspolitik oder gegen Identitätspolitik. Und so geht das dann jahrelang weiter. Aber wen interessiert das eigentlich? Das interessiert doch höchstens noch das Feuilleton selbst, muss man sagen. Und da sehe ich schon eine ganz große Chance, dass man im Internet, in Blogs oder auf YouTube die Möglichkeit hat Dinge wirklich auszubreiten und auch in anderer Weise aufzubereiten, was nicht immer heißt man dient sich irgendwie an, macht lustige Einspielfilmchen, sondern eine andere Aufbereitung bedeutet auch, dass man schaut, ob man durch dieses Medium noch einmal in irgendeiner Weise etwas klarer machen kann.

Ich glaube nicht, dass das Internet das Buch ersetzen kann, sonst hätten wir auch keins geschrieben. Aber ich glaube, dass das Buch immer noch absolut genial ist, dass man auf 150, 200 Seiten dort etwas ausbreiten kann, dass man mit Fußnoten Dinge belegen kann, dass man denk konzentrierten Leser auch schon vor Augen hat während man es schreibt, dass er also nicht mit dem Smartphone in der Hand sitzt, sondern das Buch aufschlägt und sich darin vertieft. Das wird auf jeden Fall bleiben und es ist auch ganz notwendig. Und daher ist es auch tragisch, dass es immer weniger Leser von Büchern gibt.

Aber ich glaube, dass im Internet eine ganz, ganz große Chance liegt und ich glaube auch, dass das gerade für Leute eine Chance ist, die sich nicht die ganze Zeit absprechen wollen. Viele sagen ja immer Teamarbeit sei so toll. Ich finde zum Beispiel Teamarbeit schrecklich. Ich habe keine Lust permanent mit Leuten zu zappeln wie man es jetzt macht oder so. Ich glaube auch, dass das jetzt für Einzelgänger – und schreiben ist etwas sehr solitäres – ein sehr gutes Feld ist. Und ich glaube auch, dass noch einmal andere Möglichkeiten bestehen auch im Internet Geld zu verdienen. Und das geht dann tatsächlich mehr mit der Person, die in irgendeiner Weise wichtig ist und die für etwas steht. Und das hängt dann auch nicht mehr so stark mit einem Verlag zusammen, weil das nicht etwas ist wo man irgendeine Leitplanke hat. Das ist so ein diffuser Konzern, da weiß ich gar nicht, was ist das eigentlich los. Aber ich glaube, dass das für einzelne Autoren auch eine ganz große Chance sein kann und Mark Fisher ist sicherlich ein Beispiel und viele weitere gibt es ja, die intellektuelle Inhalte im Internet produzieren.

Und es zeigt sich ja: Es gibt ein ganz großes Publikum dafür. Also nicht ein großes Publikum wie die Influencer es haben. Aber es gibt doch ein beachtliches Publikum, das sich jede Woche einen Wirtschaftspodcast anhört oder vierstündige Diskussionen über ein philosophisches Thema. All das gibt es ja im Internet und das wird auch gerne frequentiert. Und es war ja immer von Verlagen oder Radio und Fernsehredaktionen zu hören: Ja, wir müssen das ganz kurz machen sonst verlieren wir ja die Leute und wenn es zu kompliziert ist, dann springen Abonnenten ab. Ich hab noch nie gehört, dass ein Abonnent abgesprungen ist mit den Worten am Telefon: Entschuldigung mir war ihr Artikel zu kompliziert. Oder: Der war mir zu lang, deswegen kündige ich jetzt die Zeitung. Das ist noch nie passiert. Das ist ein Phantasma, das irgendwelche Journalisten immer wieder vor sich hertragen. Das ist aber alles unwahr. Und das zeigt sich jetzt im Internet. Die Leute sind durchaus daran interessiert sich tiefergehend zu informieren, aber auch sich auseinanderzusetzen.

Am Anfang ihrer akademischen Karriere haben sie zu Ernst Jünger publiziert: Wie kommt man von dem rechtskonservativen Ernst Jünger zu dem kommunistischen Theoretiker Slavoj Zizek, den sie oft rezipieren? Oder ist der Weg gar nicht so weit?

Ich habe mich mit Ernst Jünger beschäftigt, weil ich ihn interessant fand als bösen Buben der deutschen Literatur und gerade Linksliberale haben ja schon immer die Panik in den Augen wenn man nur Ernst Jünger sagt und das fand ich erstmal reizvoll, dass man so ein bisschen den Bürgerschreck sich mal ansieht. Ernst Jünger war zumindest in der ersten Hälfte seines doch sehr langen Lebens eine äußerst schillernde Gestalt, die auch literarische Qualität aufweist, die erstaunlich ist. Nicht immer. Manches von Jünger ist auch unerträglich langweilig und schlecht geschrieben, aber es sind doch tolle Sachen dabei wie die Bücher aus dem Ersten Weltkrieg, aus dem Zweiten Weltkrieg und dann so etwas wie die Marmorklippen, der Waldgang. Das hat mich schon sehr interessiert.

Aber für mich war das natürlich ein Blick auf Jünger von links. Das heißt ich konnte mit diesen Ideen der konservativen Revolution nicht viel anfangen. Im Gegenteil: Ich würde eher sagen es stand mir so weit entfernt, dass ich das in gewisser Weise auch schon wieder schätzen konnte oder amüsant finden konnte. Es hat mich aber auch nicht in Erregung gebracht. Das war ja so die junge Rezeption der letzten Jahrzehnte und das ist ja auch immer noch nicht weg. Man muss also echauffiert sein und man muss empört sein darüber, was die da gemacht haben und das fand ich reizvoll und es gab ja diese wunderbare Verbindungen vielleicht von Jünger zu Zizek durch eine noch viel schlimmere Brücke, die sich da bildet, nämlich Carl Schmitt. Schmitt war ein doch sehr umstrittener Staatsrechtler, zu Recht umstritten und aber auch ein sehr genialer Denker und der war mit Ernst Jünger befreundet und wenn man es aber Zizek liest, dann weiß man, dass da auch immer Freund-Feind Theorie von Carl Schmitt mitschwingt. Das fand ich alles sehr reizvoll und was mich dann noch so als Filmkritiker an Jünger interessiert hat war, dass hier handelnde Figuren gezeigt werden, also Leute, die etwas in die Tat umsetzen. Das ist ja diese Idee auch der konservativen Revolution. Dieser Tat Gedanke wird ja ganz groß gemacht und das ist etwas, was wir Interessanterweise nicht im deutschen Film finden, da sitzen wir ja am Küchentisch und denkt darüber nach und was könnte man tun macht es aber nicht, es ist wie im amerikanischen Film Hollywood Film. Das sind Tat Filme und da gab es dann auch nochmal eine Beziehung.

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Vortrag von Wolfgang M. Schmitt.

Sie leben ja in Koblenz, also in einer recht kleinen Stadt. Inwiefern beeinflusst dies ihr Verhältnis zu Kunst und Kultur, aber beziehungsweise auch zur Politik? Sie erzählen zum Beispiel, dass sie mit dem Auto in die nächste Stadt fahren müssen für Programmkino und Konzerte und in einem politischen Vortrag letztens plädieren sie für Verständnis für Autofahrer.

Wenn man in Koblenz lebt, dann hat man das große Glück, dass man ein bisschen aus dem Trubel draußen ist. Man muss aber aus Koblenz immer wieder raus und das mache ich seit meinem 18. Geburtstag, da kann ich nämlich Auto fahren und dann setze ich mich ins Auto und fahr nach Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Essen, wo immer ich hin will und meistens dorthin, wo ich auch noch abends zurückfahren kann. Und dann besuche ich kulturelle Veranstaltungen. Ein bisschen weniger jetzt in den vergangenen Jahren, also ist es ein bisschen mehr konzentriert auf das Kino und das liegt jetzt auch daran dass ich ja viel unterwegs bin, Vorträge quer durch Deutschland halte. Aber früher war das so, dass sich ja bis zu dreimal die Woche ins Theater und die Oper gegangen bin und dann bin ich überall rumgefahren. Für mich war das nie ein Problem. Also ich hab das eher festgestellt, dass wenn man mit Leuten in Berlin redet, dass die viel provinzieller sind. Die gucken dann nämlich nur noch was in ihrem Kiez so abgeht oder die gehen dann mal in Berlin in das Theater, aber mehr ist es so diese Haltung: Wir haben ja alles da, toll, dass Theater gespielt wird, aber ich gehe gar nicht mehr hin. Und für mich war das immer alles schon etwas eigenartig. Ich bin wahnsinnig viel durch die Gegend gefahren, um mir Ausstellung und alles anzusehen, also zum Teil dann auch mit Übernachtungen oder auch ziemliche harte Touren. Ich fahr dann auch sonst am Tag kann ich auf 800 Kilometer fahren und mir eine Ausstellung anzusehen also da war das nie ein besonderes Problem für mich. Ich wundere mich nur wenn dann so getan wird als würde man in Deutschland überhaupt kein Auto benötigen um wegzukommen. Das sagen halt Leute die in Berlin Leben in ihrer Medienblase und Berlin Mitte Blase und die brauchen natürlich da kein Auto, weil man ja ganz schnell sich mit dem Taxi zum Flughafen bringen lassen kann.

Vielleicht noch als Abschlussfrage: Jetzt hat man durch Corona ja endlich wieder Zeit sich die großen Film Klassiker ausgiebig anzusehen und sie rezensieren in Der Filmanalyse zurzeit auch wieder die ganzen alten Filme. Daher die Frage: Haben sie einen Lieblings Alfred Hitchcock Film?

Ich habe ganz viele Lieblings-Alfred-Hitchcock-Filme. Ich müsste jetzt Vertigo nennen, aber den hab ich jetzt auch schon so oft erwähnt, deswegen glaube ich sind zwei Filme interessant von Hitchcock, die sollte man sich nochmal besonders ansehen. Und zwar einmal etwas leichtes von Hitchcock nämlich Über den Dächern von Nizza. Das ist ein Film, da ist eigentlich alles von Hitchcock so enthalten, aber sehr, sehr spielerisch, ganz leicht. Es nicht so eine Schwere, die sonst auch bei Hitchcock mitschwingt. Das hat etwas sehr von einem sommerlichen Urlaub, den man gerne machen möchte und Ich würde sogar sagen: Na ja wenn man den Film gesehen hat braucht man fast nicht mehr in Urlaub zu fahren. Und dann sicherlich Das Fenster zum Hof, weil das der Film für unsere Zeit ist. Wir sind drinnen, gucken raus oder wir gucken in die Webcam und beobachten andere Leute. Das ist eigentlich jetzt der Film für unsere Zeit.

Das Buch Influencer. Ideologie der Werbekörper von Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen ist bei Suhrkamp erschienen und kostet als Paperback 15€.