Review

Inspektor Schmidt: The Ebbing

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Das Münchener Entwicklerstudio Active Fungus hat im Februar 2023 mit seinem Debüt-Spiel “Inspektor Schmidt: A Bavarian Tale” einen beachtlichen Erfolg für einen Indie-Titel aus Deutschland hingelegt. Die große Besonderheit: Eine komplett bayerische Sprachausgabe. Aber auch Abseits vom Lokal-Charme bot das Spiel eine interessant erzählte Geschichte und Charaktere, die im Gedächtnis blieben. Jetzt will das Studio im zweiten Teil “Inspektor Schmid: The Ebbing” das Erfolgskonzept fortführen. Gelingt das?

Es ist das Jahr 1870, vier Jahre sind nach dem erstem Mordfall vergangen, den die Hauptfigur Schmidt im fiktiven bayerischen Ort Wolpertshofen aufgeklärt hat. Auf einer Insel in der Nordsee will Schmidt eigentlich nur einen wohlverdienten Urlaub genießen. Doch als plötzlich eine Leiche im Örtchen Havstedt auftaucht, ist es schnell vorbei mit Urlaubsstimmung und wir müssen wieder mal einen Mordfall aufklären.

Von der bayerischen Pampa in die norddeutsche Idylle

Mit dem neuen Setting erwartet uns auch ein neuer Dialekt in der Sprachausgabe: Statt tiefstem Urbayerisch und einem herzhaften “Servus” werden wir mit einem freundlichen, norddeutschen “Moin” begrüßt. Allerdings entfaltet der Dialekt nicht die gleiche Wirkung wie im ersten Teil. Die Dialekte wirken aufgesetzter und dadurch weniger authentisch. Auch die schauspielerische Leistung der Sprecher*innen ist im Vergleich zum Vorgänger gesunken. Das stört die Immersion leider und es wäre definitiv mehr drin gewesen.

Die Grafik des Indie-Spiels hat sich im Vergleich zum Vorgänger deutlich verbessert.

Atmosphäre kommt trotzdem auf, denn durch die Architektur der Häuser der Hafenstadt, den nicht perfekt vertonten, aber dennoch charmanten Charakteren und die Aufgreifung historisch relevanter Themen der Zeit, bekommt ihr ein sehr glaubenswertes Bild einer kleinen Dorfgemeinschaft in der deutschen Provinz geboten.

Ein Krimi, der mehr Spaß macht als Tatort

Die Geschichte, die in den ca. 10 Spielstunden erzählt wird ist spannend erzählt und bietet zahlreiche Nebenschauplätze, die wie kleine Rädchen ineinander greifen und sich zum Schluss des Spiels zu einem großen Gesamtbild zusammensetzen. Dabei serviert euch das Spiel nichts einfach so auf dem Silbertablett. Wenn ihr bei euren Ermittlungen nicht aufpasst, entgehen euch wichtige Hinweise, ohne die ihr nicht weiterkommt.

Auf die Spitze getrieben wird das im “Detektiv-Modus” in dem der Quest-Log ausgeschaltet wird und ihr euch selbst daran erinnern müsst, mit welche Leuten ihr noch zu welchen Themen sprechen wolltet.

Ihr trefft auf eine Vielzahl von Charakteren, denen ihr Hinweise entlocken könnt.

Setzt ihr eure Information klug und bei den richtigen Leuten ein, erhaltet ihr neue Spuren, denen ihr im Mordfall auf der Insel nachgehen könnt. Dabei stoßt ihr auch immer wieder auf kleinere Rätsel, die aber extrem leicht und damit nicht der Rede wert sind. Eine wahre Herausforderung im Bereich Rätselspiel solltet ihr also nicht erwarten. Der Fokus liegt klar auf den Gesprächen mit den Inselbewohner*innen.

Die bekannten Mechaniken aus dem ersten Teil wurden hier weiter verfeinert. Wirkte der erste Teil noch wie ein Flickenteppich aus Rätseln, Dialogen, Schleichen und sogar Faustkämpfen, wurde sich im zweiten Teil auf weniger Mechaniken verlassen, die dafür wesentlich ausgereifter wirken. Das gilt vor allem für die Detektiv-Mechaniken und die Schleichen-Mechanik, die nun auch wesentlich wichtiger ist als im Vorgänger, denn in diesem Spiel verstecken sich auch Anleihen eine Horror-Spiels. Auch die First-Person-Perspektive ist ein logischer Schritt, der wesentlich besser funktioniert als die Third-Person des ersten Teils.

Solche Passagen erinnern an große Horror-Klassiker wie Amnesia oder Outlast.

Alles gut im Insel-Paradies? Leider nicht ganz

Ich halte große Stücke auf Active Fungus, da mir “A Bavarian Tale” wirklich gut gefallen hatte. Doch leider funktionieren einige Aspekte des Spiels noch nicht perfekt. Da wäre zunächst mal die Grafik: Die ist zwar für ein Indie-Spiel wirklich ansehnlich, aber leider tauchen immer wieder kleinere oder größere Anzeigen-Fehler auf und in den Dialogsequenzen bewegen sich die Münder nicht immer passen oder zum Teil auch gar nicht.

Außerdem trüben immer wieder Bugs die Spielfreude. Es ist klar ersichtlich, dass das Studio noch mehr Zeit braucht, bevor es ein wirklich fertiges Spiel vorzeigen kann. Das reicht von kleineren Unannehmlichkeiten wie doppelten Schriftanzeigen oder überlappenden Overlays bis hin zu so großen Systemcrashern, dass sich das Spiel aufhängt. Ich habe zwar keine Zweifel daran, dass Active Fungus alles dafür tun wird, alles Bugs auszumerzen – das haben sie bei A Bavarian Tale nämlich auch getan – aber es bleibt abzuwarten, wie fertig das Spiel zu Release wirklich ist.

Fazit: Es braucht Zeit, aber “The Ebbing” ist wieder eine Indie-Perle

Die großen Stärken der Serie wurden weiter verbessert und im Bereich Detektiv-RPG mit historischem Setting kann “The Ebbing” punkten. Die Charaktere sind wieder abwechslungsreich und spannend erzählt und es gibt nun auch mehr Möglichkeiten, wie man auf das Schicksal der Figuren Einfluss nehmen kann. Hinweise sammeln, Gespräche führen, zu Schlussfolgerungen kommen: Das funktioniert grandios und macht wirklich Spaß.

Auch das kleine Level- und Craft-System, was auch bereits aus dem ersten Teil bekannt ist, fügt sich wieder hervorragend ein. Etwas traurig macht mich, dass es die Weißwürste nicht wieder ins Spiel geschafft haben, die dich aktiv vergiften, wenn du sie nach 12 Uhr gegessen hast.

Trotzdem leidet der flüssige Ablauf des Spiels sehr unter den Bugs und Grafikfehlern. Hier kann ich nur hoffen, dass schnellstmöglich nachgebessert wird, damit aus “The Ebbing” ein wahrer Vorzeigetitel für deutsche Videospielkunst werden kann.

“Inspektor Schmidt: The Ebbing” erscheint am 07.04. auf Steam. In unserer Gamefabrik-Ausgabe am 24.04. hört ihr eine Review im Audioformat, die danach auch in diesen Artikel zu hören sein wird.