Buchkritik
Ich verzeihe nicht – Eine jüdische Familiengeschichte
Verzeihen? Nein, danke. Das sagt zumindest der Titel des neuen Buches der preisgekrönten Autorin und Journalistin Elisabeth Åsbrink. In ihrem autobiografischen Roman begibt sich die Schwedin in die Leben dreier Frauen aus ihrer Familie. Drei Schicksale, die von Diskriminierung verschiedener Art erzählen – insbesondere Antisemitismus. Gemeinsam haben sie vor allem eins: ein generationsübergreifendes, tiefsitzendes Gefühl von Einsamkeit.
Drei Frauen, dreimal Einsamkeit
Einsamkeit ist etwas, das Großmutter Rita, Mutter Sally und Tochter Katherine alle spüren, wenn auch sehr unterschiedlich. Rita hat zu Beginn ihrer Erzählung endlich ihren Schein-Ehemann Vidal Coenca amtlich geheiratet – doch wirklich glücklich ist sie damit nicht. Von London führt das Buch die Leser:innen weiter nach Stockholm, wo Sally und Katherine in den 70ern leben. Dort spürt vor allem Katherine – genannt K – die Distanz zu ihrem Vater. In Thessaloniki macht K sich 2019 schließlich auf den Weg, mehr über Vidal und über jüdisches Leben damals und heute zu erfahren. Das Erinnern ist nämlich sehr zentral für K:
“Warum nach einem zertrümmerten Friedhof suchen? Warum sich darüber ärgern, dass der Stadtplan ein Mahnmal nicht ausweist? Wer ist sie, und was treibt sie da eigentlich?
Eine spanisch-jüdisch-aschkenasisch-christlich-atheistische Don Quijote im Kampf mit dem Vergessen, antwortet sie sich selbst, weil es sonst niemand tut. Mensch und Antimensch zugleich. Eine Irre.”
Antisemitismus – ohne Jüdisch sein
Wer den Titel des Romans liest, könnte denken, dass es in Ich verzeihe nicht. Eine jüdische Familiengeschichte um drei jüdische Frauen geht. Doch ganz so einfach ist es nicht: Weder Rita noch Sally oder Katherine sind jüdisch. Trotzdem haben sie alle antisemitische Erfahrungen machen müssen. Mit Großvater Vidal hatten die familiären Erfahrungen mit Antisemitismus begonnen, denn er war Jude. Danach war die Familie gebrandmarkt – bis heute. So verbinden die drei Generationen auch eine ständige Flucht und die wiederkehrende Suche nach Heimat, stets begleitet von Stolz und Demütigung.
Poetisch, aber langatmig
Diesem sehr interessanten Thema rund um Antisemitismus und den drei unterschiedliche Persönlichkeiten in drei verschiedenen Zeiten widmet sich die Autorin Elisabeth Åsbrink leider in keinem einfach Stil. Eine Reduktion von wörtlicher Rede und starker Emotion führt unglücklicherweise dazu, dass die Figuren anfangs schwer greifbar sind. Außerdem macht der poetische Stil, dem sich die Autorin stellenweise bedient, zwar Spaß, ist aber der Spannung eher weniger dienlich.
Insgesamt ist Ich verzeihe nicht. Eine jüdische Familiengeschichte kein einfacher Roman, der aber ein wichtiges Thema anspricht: den andauernden Antisemitismus in ganz Europa. Die Autorin Elisabeth Åsbrink fordert von den Leser:innen mehr Zivilcourage, wenn sie sich gegen das Vergessen ausspricht. Passend schließt sie das Buch mit Ks Worten:
“Das gebrochene Herz ist groß. Darin hat eine Schlucht niemals gewährter Verzeihung Platz, ein massiver Berg aus Nein. Es expandiert vor Schmerz. Wie Universen. Wie meins. Spür den Schlag.
Denn ich bin K, ich bin die Kriegerin, ich bin Katherine.
Ich verzeihe nichts.”
Ich verzeihe nicht. Eine jüdische Familiengeschichte von Elisabeth Åsbrink ist beim btb Verlag erschienen. Das Buch ist als Softcover für 16,00 € oder als E-Book für 10,99 € erhältlich.