Die Sammler-Gesellschaft
Heute schon gesammelt?
Payback Punkte, Weight Watchers SmartPoints und co. So ziemlich alles wird heutzutage gesammelt. Aber warum? Ein Gedankenexperiment und die Suche nach einer Antwort.
WIE WERDE ICH DIE PUNKTE LOS?
Stell dir vor, nach dem Aufwachen geht dein erster Blick auf deinen Fitnesstracker. Er verrät dir, dass du heute sehr viele Schritte machen solltest. Deine Schrittzahlen sind nämlich nach dem Wochenende mal wieder unter dem Normalwert. Und auch die Weight Watchers SmartPoints hast du erneut überschritten. Die Lösung: Du gehst einfach zu Fuß zum Einkaufen.
DIE PUNKTEJAGD BEGINNT
Auch hier stößt du wieder auf Punkte, die es zu sammeln gibt. Payback Punkte sammeln im Drogeriemarkt – Dreifach-Punkte absahnen im Supermarkt gegenüber. Dein Punkte-Sammler-Herz schlägt höher. Es will mehr. Mehr Punkte – mehr Adrenalin.
WEITER GEHT´S
Wieder zu Hause angekommen, stehst du dann vor einer tiefreichenden Entscheidung: lecker Burger vs. Blattsalat. Die Weight Watchers Punkte in der App kommunizieren eindringlich mit dir – „Iss es nicht. Nimm den leckeren Salat.“ Du lässt deinen Heißhunger gewinnen – das schlechte Gewissen packt dich sofort. Deine verfügbaren Weight Watchers Wochenpunkte sind also jetzt schon wieder aufgebraucht. Aber keine Panik – vielleicht kannst du ein paar Punkte mit einem kurzen Workout rausholen. Workout done – dein Fitnesstracker und auch deine SmartPoints jubeln. Punkte loswerden erfolgreich angepackt.
DER HÖHEPUNKT DER PUNKTEJAGD
Stell dir vor, kurz vorm Bettgehen erreicht die Punktejagd dann nochmal den Höhepunkt. Du postest natürlich ein Instagram Bild vom Workout. Dein Ego hofft auf viele Likes. Anschließend geht´s weiter mit ein bisschen Onlineshopping. Dein Punkte-Sammler-Herz strebt schließlich die fehlenden 441 Punkte zur Plus-Mitgliedschaft an. Nach einem letzten Blick auf deine Instagram Likes schläfst du beruhigt und glücklich ein. Heute hast du wieder viele Punkte ergattert, und bist viele Punkte erfolgreich losgeworden.
WIESO, WESHALB, WARUM?
Gut, dass die Geschichte nur ein Gedankenexperiment ist. Aber warum stoßen wir in unserem Alltag immer wieder auf Punkte, die wir sammeln wollen? Wird unsere Gesellschaft wirklich vom Sammeln beherrscht? Woher kommt dieser Gedanke, dass mehr beziehungsweise weniger Punkte nötig für einen erfolgreichen Tagesablauf sind?
Der Soziologe Prof. Dr. Clemens Albrecht erklärt, dass das Sammeln einen historischen Ursprung hat. „Herrscher sammeln seit der Entstehung von stratifizierten Gesellschaften (Hochkulturen mit sozialen Schichten). Sammlungstyp: Prunk- und Luxusgegenstände. In der Barockzeit wurden zum Beispiel Kuriositätenkabinette gesammelt.“ Und das hat sich dann bis in die heutige Zeit entwickelt. Laut Prof. Dr. Clemens Albrecht ist das Sammeln ein Ausdruck von Individualität. Menschen versuchen, sich durch das Sammeln bestimmter Gegenstände von anderen abzuheben und in irgendeiner Form nach dem Tod weiterzuleben. Das geschieht dann, wenn die Sammlung vererbt wird und ewig an den Sammler erinnert.
„Die Punktesysteme unserer Gesellschaft sind wie Geld und man meint, sie gegen etwas Wertvolles einlösen zu können“
Prof. Dr. Clemens Albrecht
Und in vielen Fällen können Punkte ja auch wirklich gegen etwas Wertvolles eingetauscht werden. Dass solche Sammelaktionen von Geschäften gestartet werden, um treue Kund*innen anzuwerben, liegt auf der Hand. Trotzdem lassen sich viele im Alltag davon anziehen. Prof. Dr. Clemens Albrecht meint trotzdem, dass wir uns noch nicht in einer „Sammler-Gesellschaft“ befinden. „Es hat [zwar] Sportcharakter, wenn es im offenen Wettbewerb mit anderen geschieht“, aber es ist noch lange nicht zum Volkssport geworden.
PUNKTE DETOX
Um dem ganzen Sammeln zu entkommen, hilft vielleicht manchmal einfach das Handy wegzulegen, um sich von den ganzen Werbungen und Verlockungen der „Punktewelt” nicht zu sehr beeinflussen zu lassen.