Haiku Garden im Interview
Herzensinstrument Gitarre
Die slowenische Shoegaze-Band Haiku Garden kombiniert mystische bis unheimliche Songs mit entspannten Liedern, die auch mal bis zu sieben Minuten lang sein können. Anfang 2024 sind sie wieder auf einer kleine Europa-Tour gewesen. Bei ihrem Auftritt in München hat sie Luis Kirchner, der selbst ein Jahr in Slowenien verbracht hat, in ihrer Muttersprache interviewt.
Ein Kindheitstraum war es für die vier Jungs nicht – mit dem Gedanken, Musiker zu werden, spielten sie so richtig erst nach der Schule. Anže (“Ansché”), Klemen, Luka und Matevž (“Mate-usch”) lernten sich in Ljubljana an der Uni kennen, wo sie Musikwissenschaften studierten. Für slowenische Kulturschaffende kein ungewöhnlicher Weg. Vieles an kulturellem Leben ballt und formiert sich an den Hochschulen der Hauptstadt.
Matevž, der Bassist, spielte seit seiner Kindheit Konzertgitarre (klassische Gitarre im Orchester) und als Hobby Bass in verschiedenen Bands.
Irgendwann habe ich mir gesagt: Ich probier’s mal professionell. Schauen wir mal, was passiert.
Matevž Bitenc, Bassist Haiku Garden
2015 entstand die Band Haiku Garden. Ihr Debüt kam ein Jahr später mit der EP Waver. Seither macht die Band vor allem Musik im Stil des Shoegaze: Ihre Songs sind charakterisiert durch atmosphärische Sounds, virtuose Gitarrensoli und besonders durch ihre schiere Länge:
Mit ihrem aktuellen Album gingen sie Anfang 2024 auf eine kleine Europa-Tour mit Aufritten in Österreich, Deutschland und der Slowakei. Im Februar traten sie auch in München auf im Bellevue di Monaco.
Keine slowenische Volksmusik
Alle vier Bandmitglieder kommen aus dem Umland der slowenischen Hauptstadt Ljubljana.
Ich bin ganz klassisch mit der traditionellen slowenischen Volksmusik aufgewachsen – und die hatte definitiv keinen Einfluss auf unsere Musik.
Anže Knez, Schlagzeuger Haiku Garden
Nicht nur, dass sie auf Englisch singen, auch ihr Musikstil unterscheidet sie stark vom slowenischen Mainstream. Einfluss auf ihr Schaffen hatten mehr die bekannten Indie-Bands wie die Arctic Monkeys, Franz Ferdinand usw.
Poesie und Lyrik als Inspirationsquelle?
Ihr Bandname erweckt schon eine klare Assoziation. Und auch wenn die Songtexte nicht ausschließlich aus Haikus bestehen, kann man ihren lyrischen Charakter deutlich erkennen:
Decayed And beat We seek the light Afraid We breathe The air of fright Recede Every point in time not seized is incomplete ~ Refrain, "Tense Present", Haiku Garden
Klemen, der hauptsächlich die Lyrics schreibt, sieht sich aber selbst nicht als Dichter. Auch er kommt, wie die anderen Bandmitglieder, aus der musikalischen Richtung, spielt selbst Gitarre und Synthesizer neben seiner Rolle als Sänger.
“Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns der Lyrik langsam annähern. Wir lesen viel, hören viel.”
Klemen Tehovnik, Sänger Haiku Garden
Momentan arbeitet die Band an einem Album auf ihrer Muttersprache Slowenisch, wo ihr Fokus noch mehr auf dem poetischen Gehalt der Songtexte liegen soll. Eine Herausforderung, wie Gitarrist Luka meint:
Es ist schwieriger, den Vibe eines Songs auf Slowenisch einzufangen und wiederzugeben, als auf Englisch.
Luka Flegar, Gitarrist Haiku Garden
Warum Slowenisch?
Am 1. April 2024 ist Haiku Gardens erster Song in slowenischer Sprache erschienen:
Der Songtitel ist interessanterweise gar kein slowenisches Wort und eindeutig eine Indigenisierung des englischen/französischen “avalanche”. “Lawine” heißt auf slowenisch eigentlich “snežni plaz” oder tatsächlich auch “lavina”. Vielleicht will Haiku Garden die Zuhörer:innenschaft schrittweise an das kommende slowenischsprachige Repertoire heranführen.
Warum bringt die Band aber überhaupt ein Album in ihrer Muttersprache heraus? In Deutschland gibt es schließlich auch genug Künstler:innen, die ausschließlich auf Englisch singen und damit erfolgreich sind. Auch in der slowenischen alternativen Szene ist das nichts Außergewöhnliches.
Aber jetzt konzentrieren wir uns zudem mehr auf unsere Live-Auftritte, also die unmittelbaren Aspekte des Musikmachens, und da können wir in Slowenien natürlich auch mit den Leuten auf den Konzerten enger in Verbindung treten, als wenn wir auf Englisch singen.
Matevž Bitenc, Bassist Haiku Garden
Die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme in Slowenien wie Val 202 folgen meist einer spezifischen Praxis, was die Musikauswahl betrifft: Mehr als die Hälfte aller slowenischen Songs sind auch slowenischsprachig (für Interessierte, die des Slowenischen mächtig sind, hier ein weiterführender Artikel). Da es zudem für junge Bands schwieriger ist, in die großen Radioprogramme des Landes hineinzukommen, kann sich Haiku Garden mit ihrem neuen slowenischsprachigen Album etwas höhere Chancen erwarten.
Den Instrumenten Freiraum Geben
Die Lyrics ihrer Songs stehen trotz allem nicht prominent im Vordergrund. Beim Hören kann man vielmehr eine für zeitgenössische Musik fast untypische 50-50-Aufteilung von Vokal- und Instrumentalparts feststellen.
Die hohe Bedeutung ihrer Instrumente zeigt sich schon bei der Besetzung der Bandmitglieder: Zwar singen Klemen, Luka und Matevž – spielen aber alle gleichzeitig auch (Bass-)Gitarre.
Für uns alle ist das „Herzensinstrument“ die Gitarre.
Luka Flegar, Gitarrist Haiku Garden
Der Aufbau ihrer Songs mit einer Mischung aus Vokalparts und ausgefeilten Gitarren-Soli spiegelt das auch wider. Die Band arbeitet viel mit Improvisation und Jams, um neue Songs zu entwickeln.
Oft sagen wir dann: ‘Ok, hier hast du jetzt deinen Freiraum und kannst mal spielen, was du willst – und danach sehen wir, was dabei entstanden ist.’
Klemen Tehovnik, Sänger Haiku Garden
Manche ihrer Songs sind auch aus reinen Jam-Sessions entstanden. Andere folgen wiederum dem klassischen Pop-Aufbau mit Refrain, Strophen und Bridge.
Stimmungsschwankungen
Durch ihr Repertoire ziehen sich eindeutig die atmosphärischen Sounds. Welche Art von Atmosphäre kann dabei sehr unterschiedlich sein. Das Hören eines Haiku-Garden-Albums wird zu einem Ritt durch die Stimmungen. Von mystisch über unheimlich zu entspannt und gemütlich findet sich alles.
Ich glaube, uns wird oft einfach langweilig, wenn wir zwei, drei Songs hintereinander machen, die ähnlich klingen oder eine ähnliche Stimmung haben.
Luka Flegar, Gitarrist Haiku Garden
Und sie sagen, bei Konzerten ließen sich so die Fans viel besser überraschen.
An ihrem Auftritt in München waren vielleicht vierzig Leute anwesend. Doch das macht den vier Jungs von Haiku Garden nichts aus:
Auch vor fünf Leuten kann die Stimmung mega sein.
Matevž Bitenc, Bassist Haiku Garden.