M94.5 Filmkritik
Happy Lamento
Der Groß-Intellektuelle der deutsche Cineasten-Szene, Alexander Kluge, hat nach mehr als zwanzig Jahren einen neuen Kinofilm gedreht. Um tatsächlich etwas damit anfangen zu können, bräuchte man als Kinogänger vermutlich eine Gebrauchsanleitung.
Klassischerweise soll eine Filmkritik zumindest diese Fragen beantworten: Worum geht’s? Was will uns der Regisseur damit sagen? Und: Ist das sehenswert? Die Antworten für Happy Lamento sind: Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Und: Ich weiß es nicht.
Der Regisseur selbst sagt, dass es im Grunde genommen bei diesem Film um elektrisches Licht, den Zirkus, den Song “Blue Moon” und Straßenkämpfe unter Kinderbanden in Manila gehe. Wirklich hilfreich ist das nicht. Auch die Zitate, die zwischendurch eingeblendet werden, tragen nicht unbedingt zum Verständnis bei: „Der Film ist eine völlig selbständige Kunstform / Er muß sich von der Wirklichkeit, von der Fotografie, vom Hübschen und vom Feierlichen wegorientieren / Er muß ‘anti-hübsch’, entstellend, impressionistisch, synthetisch, dynamisch und freiwörtlerisch werden.“ Diese Aussage, die Filippo Tommaso Marinetti, einem faschistischen Politiker und Autor des Futuristischen Manifests, zugeschrieben wird, ist wahrscheinlich trotzdem die beste Interpretationshilfe, die Kluge anbieten kann.
Was habe ich da gerade gesehen?
Alexander Kluge, dem das Frontalunterrichtartige des Kinos widerstrebt, liefert eine neunzigminütige Collage aus anscheinend unzusammenhängenden Motiven. Darunter finden sich Split-Screen-Szenen, bei denen das Publikum selbst überlegen darf, was die Bilder gemeinsam haben – ein bisschen wie bei Assoziationsfragen in Intelligenztests. Eine Art roten Faden bilden wiederkehrende Elemente (Elefanten, der Mond), diverse Interpretationen des Evergreens „Blue Moon“ und Ausschnitte aus dem Film Das flüchtige Leben eines Funken des philippinischen Regisseurs Khavn De La Cruz.
Wir fragen uns, was das eigentlich soll!
Diese Szenen, in denen es um eine recht blutrünstige philippinische Kinderbande geht, wirken mitunter wie Musikvideos und sind eine Fingerübung in rasender Eskalation. So beobachtet man einen müden Haufen Menschen beim Karaoke-Singen in einer Bar. Die offenbar Teil eines Bordells ist. Das in einem Schweinestall betrieben wird. Wo aus einer politischen Diskussion zwischen Polizisten eine Schießerei entsteht, bei der alle Menschen und diverse Schweine sterben. Am Ende gibt’s Bühnennebel. Das ist verstörend, irgendwie sozialkritisch, ein bisschen menschenverachtend, tierquälerisch und trotzdem auf eine abgedrehte Art witzig. In diesen Momenten wird die Bedeutung des Filmtitels am ehesten greifbar: Happy Lamento, ein glückliches Klagelied, ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich.
Ist das Kunst oder ein Streich?
Was Happy Lamento auf jeden Fall provoziert, sind amüsante Kritiken. Wer über den Film schreibt oder spricht, mag sich schließlich nicht die Blöße geben, gestehen zu müssen, dass er zu dumm dafür ist. Vielleicht hat Alexander Kluge mit seinen mittlerweile 87 Jahren auch einfach nur genug Scheiß-drauf-Mentalität entwickelt, um auf eine nachvollziehbare Struktur verzichten zu können – die eigene künstlerische Ästhetik geht vor. Oder er benutzt sein Publikum als Versuchskaninchen: Fressen die das? Glauben die wirklich, dass das Kunst ist?
Wer es schafft, anderthalb Stunden konzentriert zuzusehen, fühlt sich wie nach dem Erwachen aus einem Fiebertraum. Vielleicht war das alles nur Nonsens. Vielleicht bringt mir dieser Film irgendwann die große Erleuchtung. Drei Dinge haben sich zumindest in meinem Gedächtnis eingebrannt: Die Grafiken, die aussehen wie WordArt aus den 90er Jahren. Ein strippender Helge Schneider mit Lichterkette. Und ein Zitat von Werner Riegel: „Schön ist der Mond über Polen / Einen Genickschuß lang.“
„Happy Lamento“ ist ab dem 20. Juni 2019 in den deutschen Kinos zu sehen.