Eine Stilanalyse

Good Vibes Only?

/ / Foto: Fabian Møller/Unsplash

Kunst ist zweifellos ein Spiegel unserer Gesellschaft und zeitgenössischer Ereignisse: In spätestens 20 Jahren wird es in irgendeiner Galerie eine Ausstellung über die Millennial-Ästhetik und ihren gesellschaftlichen Bezug geben. Was werden die zukünftigen Museumskurator:innen über uns sagen? Der Versuch einer Analyse.

Fangen wir mit einer einfachen Assoziationsübung an: Was ist diese “Millennial-Ästhetik” überhaupt? Wie alles, was Millennials, wie auch den Begriff selbst, betrifft, werden deren Merkmale gerne mal kontrovers diskutiert – von iPhones in Roségold bis hin zu den Mittelscheiteln und Skinny Jeans, die ihren Gen Z-Nachfolger:innen anscheinend so verhasst sind. Gleichzeitig gibt es darunter Elemente, die quasi generationenübergreifend sind: Millennials haben weder den Urban Jungle erfunden, noch ist der Trend mit ihnen gestorben. Es gibt aber gewisse Kernaspekte, die erst seit dem titelgebenden Millennium auftreten und eng mit der Ästhetik dieser Generation verwurzelt sind. Dazu gehören ein höheres Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Recycling – die quasi-Eltern der Palettenmöbel. Andererseits sehen viele vor allem den Drang, weniger zu besitzen und mehr Erfahrungen zu machen: #vanlife bestimmt schließlich nicht erst seit 2020 den sorgfältig kurierten Instagram-Feed – auch wenn die Pandemie das Bedürfnis, mit einem Bulli über eine von Nadelbäumen gesäumte Landstraße zu heizen, mächtig angefeuert hat.

Die Experience zählt

Weil wir aber gleichzeitig noch in einer kapitalistischen Gesellschaft leben und materielle Dinge uns zumindest kurzfristig vom allgemeinen. häufig als schlecht empfundenen Zustand der Welt ablenken, kommt zu dem ganzen Eskapismus natürlich auch ein gewisser Kaufrausch dazu. Millennials investieren zwar lieber in Erfahrungen, aber gekauft wird trotzdem gerne. Und zwar unter anderem ethisch vertretbare, nachhaltige Produkte. Aber vor allem solche, deren Design und Message uns in der Werbung direkt abholt. Warum sonst fuhr Fernet-Branca, allgemein assoziiert mit älteren Männern, die sowohl im Aussehen als auch im Eigengeruch altersschwachen Dackeln ähnelten, plötzlich Rekordgewinne ein? Antwort: Die äußerst kluge Marketingkampagne, die nur so vor Sarkasmus und Zynismus tropft. Es ist nicht mehr nur das Produkt selbst: Es geht darum, wie sehr man eine fotogene Kampagne teilen kann, um von Freund:innen die Antwort “same haha” zu bekommen.

Aber was ist jetzt mit dem zeitgenössischen Bezug? Ganz sicher wird es dazu, sofern nicht bereits vorhanden, ganze Studien geben. Hier starten wir mal den Versuch einer Analyse von drei Objekten, die aus der Millennial-Ästhetik nicht mehr wegzudenken sind und arbeiten gleichzeitig die letzten 20 Jahre auf.

Paletten-Bett

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Weitere Informationen

Dreh- und Angelpunkt der Millennial-Ästhetik ist das Bett aus Europaletten. Datieren lässt es sich nicht, da es, im Gegensatz zu “richtigen” Designerstücken kein Erscheinungsjahr gibt. Palettenbetten vereinen viele Aspekte des modernen Designs: Nachhaltigkeit (weil die Bausubstanz sonst irgendwann auf dem Müll landet), Budgetfreundlichkeit (Paletten kann man ziemlich preiswert im Baumarkt abstauben) und das laissez-faire der abgeranzten, aber stilvollen Studentenbude (betont antikapitalistisch, deswegen wurde auf einen Besuch bei Ikea verzichtet). Hier finden sich natürlich Überschneidungen zu hippen Vierteln, die später allesamt der Gentrifizierung zum Opfer fallen. Vielleicht hängt die Popularität des Designs aber auch eher mit der Flexibilität, die in der heutigen Arbeitskultur so wichtig ist, zusammen. Denn wer erst nach zahlreichen unbezahlten Praktika einen befristeten Job bekommt, kann sich schlichtweg kein teures Bettgestell leisten. Von denjenigen, die noch studieren, ganz zu schweigen. Somit ist das Palettenbett also die Symbiose aus Geldmangel, Digital Nomad und Nachhaltigkeitsbewusstsein.

Urban Jungle

green plants between armchair and flat screen TV
Foto: Brina Blum/Unsplash

Klar, Millennials haben jetzt nicht das Patent auf Zimmerpflanzen. Botanikkultur und kultivierte Pflanzen im Eigenheim gibt es schließlich schon seit über 200 Jahren. Aber es ist auffällig, dass das Innendesign eine Wandlung von “Ich mache mir ein bisschen schönes Grün in meine vier Wände” zu “Zu viel Pflanzen gibt’s nicht” vollzogen hat. Der Begriff “Urban Jungle” gibt ja auch eigentlich schon vor, im urbanen Lebensraum eine Art grüne Oase etablieren zu wollen. Das suggeriert zum einen, dass sich viel Lebenszeit im urbanen Raum abspielt – was niemanden überraschen sollte, der mal auf dem Land auf Jobsuche war. Gleichzeitig erweckt der Urban Jungle den Eindruck, trotz des ach so tollen Lebens in der Stadt eine große Sehnsucht nach dem Grün auf dem Lande zu haben. Die Lösung dafür: Großeinkauf beim Baumarkt oder den Florist:innen des Vertrauens. Besonders beliebt: Monstera, Farne und Efeu. Vielleicht kann man hier aber auch ganz einfach feststellen: Millennials haben es satt, nur auf Beton zu starren.

Millennial Art

good vibes only text
Foto: Mark Adriane/Unsplash

Ein poppiges Poster in satten Farben, das zentriert an der Wand umrahmt von Deko hängt, ist ebenso ein Staple in der modernen Millennial-Wohnung wie sein minimalistischer Gegenpart, der uns etwas von “Nach mir die Ginflut” erklärt. Auch wenn das Bewusstsein für mentale Gesundheit erst mit dieser Generation richtig aufkam, wollte man sich anscheinend nicht mit latentem Alkoholismus oder Realitätsflucht entfernen. Aber genau das sind zwei Charakteristika, die sich im Lifestyle der Millennials (egal ob jetzt Ende 30 oder Mitte 20) immer wieder finden. Wer könnte es ihnen verdenken? Der War On Terror und weitere weltweite Terroranschläge, die Finanzkrise und damit zerstörtem Arbeitsmarkt, unser allmählich dahin siechender Planet… Es gibt viele Gründe, weswegen man sich das Leben schön trinken und die guten “Vibes” beschwören musste.

Fazit

Man soll ein Buch ja nicht nach dem Cover beurteilen – und Millennials nicht nach ihrem Innendesign. Letztendlich ist das Zuhause vor allem ein Refugium für die +++turbulente Welt da draußen. Das sollte uns allen nach den vergangenen anderthalb Jahren in Fleisch und Blut übergegangen sein. Und überhaupt: Mit Generation X, der schwarzen Ledercouch und dem Fliesentisch hat sich auch niemand auseinandergesetzt.