Kommentar
Frauen werden nicht ermordet. Männer ermorden Frauen.
In der öffentlichen Berichterstattung ist von „Familiendramen“, „häuslicher Gewalt“ und „mehr Vergewaltigungsopfern“ die Rede. Bei diesen Bezeichnungen geht es immer um die Opfer und nicht um diejenigen, die ihnen aktiv Gewalt antun. Weil Täter in unserer Sprache unsichtbar sind, reproduziert sich so ein längst überholtes Bild von Hierarchien und Sexismen. Weshalb wir dringend über unsere Alltagssprache reden müssen. Ein Kommentar von Teresa Hofmeister.
#textmewhenyougethome
Seit dem Femizid an Sarah Everard Mitte März in London, brach eine rege internationale Debatte los. Eine junge Frau, die nachts alleine auf dem Nachhauseweg ist und nicht zuhause ankommt. Man möchte meinen, dass die Diskussion im Jahr 2021 hinfällig sei, aber wieder waren die zentralen Themen ihr Aussehen, ihre Kleidung und die Menge Rotwein, die sie zuvor getrunken hatte. Auch die deutschen Medien berichteten über diesen Fall mit Überschriften wie „Sarah Everard starb auf ihrem Heimweg“ (Focus online). Was klingt, als hätte Sarah Everard einen Schlaganfall erlitten, möchte eigentlich über die gewaltsame Ermordung einer Frau durch einen Polizisten berichten. Bei dieser Phrase stört die Unsichtbarkeit des Täters, wodurch die Frau beim Tathergang im Fokus steht, sie vermeintlich mitschuldig macht und Gewalt zu etwas stilisiert, das ihr einfach so “passiert” ist.
Hierarchie der Geschlechter
Die Wertung der Geschlechter ist in unserer Gesellschaft ein uralter Vorgang, der in der Bibel anfängt und sich bei Platon manifestiert: der Mann gilt als der starke und ausführende Part, während der Frau die passive und empfangende Rolle zugewiesen wird. Übt also ein Mann Gewalt an einer Frau, so müssen wir verstehen, dass dies auf zweierlei Ebenen stattfindet: einerseits steht da das männliche Individuum, andererseits die gesellschaftliche Norm, welche Geschlechter wertet und es so erst möglich macht, dass sich der eine Part über den anderen erhebt. Beide Ebenen spielen leider geradezu perfekt ineinander, als dass wir uns in den letzten Jahrzehnten im Denken über Geschlechterrollen großartig weiterentwickelt hätten. Historisch betrachtet wird es als „männlich“ bezeichnet, wenn starke Gefühlsregungen durch Aggression und Gewalt kompensiert werden. Also wenn Gewaltausübung zum befriedigenden Substitut wird. Gleiches findet sich auch in der Sprache wieder.
Unsere Sprache spiegelt die Weltsicht wieder
Unsere Alltagssprache vereinfacht die Strukturen in denen wir denken, indem sie Bilder zeichnet und so dabei hilft, gesprochene oder geschriebene Inhalte einzusortieren. Daraus entwickeln wir Meinungen, positionieren uns und reflektieren das Geschehen. Unsere Sprache hat also einen direkten Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen.
Passive Sprache malt falsche Bilder
Berichten die Medien also, wie viele Frauen im letzten Jahr Opfer von Vergewaltigungen wurden, entstehen in den Köpfen Bilder von unvorsichtigen jungen Frauen, die alleine und betrunken auf dem Heimweg vom Club, von unbekannten und gesichtslosen Männern vergewaltigt werden. Dabei bleibt aber unbeachtet, dass per Statistik die meisten Täter aus dem direkten sozialen Umfeld der Frauen stammen, also aus der Familie, der Partnerschaft oder dem Freundeskreis. Der Fokus liegt auf den Frauen, die einerseits viktimisiert, also zu hilflosen Opfern gemacht werden, denen andererseits aber durch genau diese Passivität eine vermeintliche Mitschuld zugeschoben wird.
Sprechen wir aber darüber, wie viele Männer im vergangenen Jahr Frauen vergewaltigt haben, so liegt der Schwerpunkt nicht auf den Opfern, sondern auf den aktiven Tätern. Nur so können die Täter als greifbare Individuen gedacht und gelesen werden. Nur so können die Medien Gewalttaten als das benennen, was sie wirklich sind. Frauen werden nicht ermordet. Männer ermorden Frauen.
Gewalt gegen Frauen wird von Tätern ausgeübt
Unsere Sprache muss aufhören zu suggerieren, dass Gewalt gegen Frauen ein beidseitiger Vorgang ist. Gerade in der Sprache sollte klar abgegrenzt sein, wer für was verantwortlich ist und es auch so benennen. Gewalt, die gegen Frau gerichtet wird, hat nur einen Akteur: den Täter.
Bei der Alltagssprache ansetzen
Die WHO bezeichnet Gewalt gegen Frauen als das größte Gesundheitsrisiko weltweit. 40% aller deutschen Frauen zwischen 16 und 75 Jahren haben bereits sexuelle Gewalt erlebt. Wäre unsere Sprache präziser, und benannte sie die Dinge, wie sie sind, wäre diesen Frauen schon ein Stück weit geholfen. Könnten unsere alltäglichen Aussagen etwas sensibler sein, wäre es möglich das verschobene Machtverhältnis zwischen Tätern und Opfern wieder gerade zu rücken.
Sollte es in unserer Gesellschaft nicht möglich sein, innezuhalten und Frauen Glauben und Gehör zu schenken, wenn sie ihre Erfahrungen teilen? Weisen wir einander auf Missstände hin und lernen wir dazu. Durch unsere Sprache können wir aufhören, Frauen die Schuld an dem Leid zu geben, das ihnen Täter angetan haben.
We talk about how many women were raped last year, not about how many men raped women. We talk about how many girls in a school district were harassed last year, not about how many boys harassed girls. We talk about how many teenaged girls got pregnant in the state of Vermont last year, rather than how many men and teenaged boys got girls pregnant. So you can see how the use of this passive voice has a political effect. It shifts the focus off men and boys and onto girls and women. Even the term „violence against women“ is problematic. It‘s a passive construction. There‘s no active agent in the sentence. It‘s a bad thing that happens to women, but when you look at that term „violence against women“, nobody is doing it to them. It just happens. Men aren‘t even part of it!
Jackson Katz in violence against women: it‘s a men‘s issue