Feministische Außenpolitik
The future is female!
Die neue Regierung in Deutschland steht in den Startlöchern: die Ampel-Parteien haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Im Kapitel über Außenpolitik taucht ein neuer Begriff auf: “feminist foreign policy”. Doch was ist feministische Außenpolitik? Und wie sieht das in der Praxis aus? Über diese Fragen haben wir mit verschiedenen Expert:innen gesprochen.
Ist feministischer Frieden nur weiblich?
Die eine feministische Außenpolitik gibt es nicht. Unter feministischer Außenpolitik versteht man viel mehr eine Art neuen Grundkonsens in der Außenpolitik: die Anerkennung struktureller Ungleichheiten aller Art innerhalb einer Gesellschaft. Ganz ähnlich wie beim Konzept des intersektionalen Feminismus geht es bei feministischer Außenpolitik ebenfalls nicht nur um die Diskriminerung von Frauen, sondern auch nicht-weiblicher Personen, zum Beispiel People of Color, Menschen mit Behinderung oder queerer Menschen – und vor allem um die Überlagerung dieser Diskriminierungsformen. Somit ist es für feministische Außenpolitik essentiell, dass besonders auf die vulnerablen Gruppen in der Gesellschaft geschaut wird. Beispielsweise von Rassismus oder Ableismus Betroffene werden im momentan vorherrschenden Verständnis neorealistischer und neoliberalistischer Außenpolitik nämlich nicht extra berücksichtigt.
Nur eine Frage der Repräsentation?
Konventionelle Außenpolitik ist ein Diskurs, der leider nur von Eliten geführt wird, die nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung repräsentieren. Beispielsweise bestand das britische Verhandlungssteam der Klimakonferenz in Glasgow nur aus Männern. Die diverse Realität wurde damit nicht abgebildet.
Karoline Färber forscht am King’s College in London zu feministischer Außenpolitik und hält die fehlende Repräsentation für ein fundamentales Problem der aktuellen Außenpolitik. Außenpolitische Entscheidungen wirken sich auf verschiedene Personengruppen unterschiedlich stark aus. Trotzdem werden die Verhandlungen zu einem überwiegenden Anteil von Personen geführt, die aufgrund bestimmter Privilegien wie Herkunft oder Geschlecht von den Entscheidungen nicht so stark beeinflusst werden wie weniger privilegierte Menschen. Frauen stellen zum Beispiel weniger als 10 Prozent der Verhandlungsführer:innen bei Friedensverhandlungen. Die Beteiligung ist insbesondere deshalb wichtig, weil sie besonders stark von Kriegszuständen betroffen sind, wie sich am Thema Rüstungsexporte zeigt.
Konsequente Sicherheit und Klimagerechtigkeit
Gerade Rüstungsexporte als klassisch außenpolitisches Thema sind ein gutes Beispiel, um die drastischen Folgen einer nicht-feministischen Außenpolitik für marginalisierte Menschen zu illustrieren. Frauen, Mädchen und nicht genderkonforme Personen leiden besonders unter geschlechtsspezifischer Gewalt, die durch Waffen noch verstärkt wird. Unter geschlechtsspezifischer Gewalt versteht man unter anderem die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts (Femizide) und Vergewaltigungen. Letztere wurden beispielsweise bei Konflikten in Kolumbien oder im Kongo sogar als bewusste Kriegstaktik eingesetzt. Mehr Schusswaffen bedeuten eine schnellere Eskalation von Konflikten und systematische Unterdrückung von Minderheiten wird so ein Thema individueller Sicherheit.
Auch die Klimapolitik würde von der feministischen Perspektive profitieren. Deborah Düring ist neues Bundestagsmitglied für die Grünen und beschäftigt sich unter anderem mit globaler Gerechtigkeit. Sie weist darauf hin, dass 80 Prozent der Klimavertriebenen Frauen sind. Abgesehen davon hat der Klimawandel auch im Alltag ganz konkrete Auswirkungen für weiblich gelesene Personen, erklärt Deborah Dühring. Frauen arbeiteten überdurchschnittlich oft in den Sektoren, die von Hitze und Dürre betroffen sind – wie beispielsweise Lebensmittelanbau und -zubereitung. Zusätzlich seien viele Frauen immer noch mit Care-Arbeit tätig, und somit auch fürs Wasserholen. Dabei verlängern sich die Wege durch den Klimawandel.
Feministische Außenpolitik – alles nur positiv?
Feministische Außenpolitik könnte allerdings auch missverstanden werden und zur Reproduktion von traditionellen Geschlechtszuschreibungen führen. Frieden darf nämlich nicht allein mit der Teilhabe von Frauen am Verhandlungstisch gleichgesetzt werden. Nur weil Frauen mit am Tisch sitzen, heißt das nicht, dass es sofort kooperativer und friedlicher zugeht. Das reproduziert leidglich das Klischee von Frauen als die “Nährenden, Kümmernden und Friedfertigen”. Dieser problematische Trugschluss lenkt den Blick weg von dem, worum es feministischer Außenpolitik eigentlich geht: um die Debatte von feministischen Perspektiven in der Außenpolitik.
Aber auch die eurozentristische bzw. westliche Perspektive, aus der feministische Außenpolitik oft betrieben wird, steht in der Kritik. Der Ethnologe Prof. Dr. Thomas Reinhardt von der LMU München betont, der Westen dürfe anderen Staaten nicht bestimmte Werte aufdrängen, ohne die kulturellen Kontexte zu respektieren. Denn gerade innenpolitisch hätten auch westliche Staaten selbst immer noch jede Menge Probleme. Diskriminierung ist hier täglich präsent, wie zum Beispiel beim Abtreibungsrecht oder beim Kopftuchverbot von Beamt:innen. Die Debatte um Feminismus also ganz ans Auswärtige Amt abzuschieben, bürge die Gefahr, dass Diskriminierung weiter vor allem mit “fremden Ländern und Kulturen” in Verbindung gebracht wird, während sie in Deutschland als innenpolitisches Problem weiter vernachlässigt wird.
Als prominentes Beispiel für feministische Außenpolitik gilt Schweden. Als erstes Land der Welt führte es 2014 eine feministische Außenpolitik ein. Während der schwedischen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2017-2018 setzte sich Schweden konsequent für die Berücksichtigung einer Gleichstellungsperspektive und ihre Integration in die tägliche Arbeit des Rates ein. Im Jahr 2015 wurde ein schwedisches Netzwerk für weibliche Vermittler gebildet, um das Friedensengagement von Frauen in der ganzen Welt zu unterstützen. Andere Beispiele sind Kanada, Spanien und Luxemburg, aber auch Mexiko. Noch handelt es sich um eine Minderheit, aber langsam werden es mehr.
Wie weit ist Deutschland?
Annalena Baerbock ist in der neuen Ampel-Regierung die erste deutsche Außenministerin geworden. BÜNDNIS90/ die Grünen bezeichnen sich schon länger als feministische Partei. Zudem haben sie sich schon 2019 explizit mit einem Antrag für feministische Außenpolitik eingesetzt, der jedoch nicht die erforderliche Mehrheit erreichte. Aber auch die SPD setzte sich ebenfalls mit einem Antrag 2020 für das Thema ein. Bedeutet eine Grüne Außenministerin der Ampel-Regierung somit auch feministische Außenpolitik für Deutschland?
“Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern. Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln.”
Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung.
EU-Resolution 1325 für feministische Außenpolitik
Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag explizit für feministische Außenpolitik ausgesprochen. Das gab es zwar in Deutschland vorher noch nicht, die Vereinten Nationen waren aber schon vor gut 20 Jahren an diesem Punkt. Im Jahre 2000 hat nämlich der UN Sicherheitsrat die historische Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedet. Die Resolution ruft dazu auf, Frauen an Friedensprozessen zu beteiligen. Außerdem sollen sie besser vor Menschenrechtsverletzungen geschützt werden. Damit einher geht, Frauen Zugang zu Justiz und öffentlichen Leistungen zu ermöglichen, um die Diskriminierung zu beseitigen. Der Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution von 2021 enthält intersektionale Forderungen. Beispielsweise soll die Gruppe von Frauen nicht als homogene Gruppe betrachtet und deshalb spezifische Angebote geschaffen werden.
Die EU-Abgeordnete Hannah Neumann erklärt, was sich noch innerhalb der EU für eine feministische Außenpolitik ändern muss. Man brauche mehr Frauen in Führungspositionen und auch eine sinnvolle Einsetzung von Geldern. Der bisherige EU-Einsatz für feministische Außenpolitik scheiterte daran, dass Regierungen in der EU wie Polen oder Ungarn Begriffe “feministisch” und “Gender” ablehnen.
Die konkrete Umsetzung muss über die Zeit hinweg beobachtet werden. Bei M94.5 haben wir die ganze Debatte um feministische Außenpolitik in einer ausführlichen Podcastfolge zusammengefasst. Hört rein: direkt hier unten oder überall, wo es Podcasts gibt.