Opernkritik
Falstaff
Eigentlich sollte die letzte Oper von Guiseppe Verdi die diesjährigen Opernfestspiele eröffnen – wozu es wegen Covid nun nicht kommen konnte. Stattdessen hat nun die Neuinszenierung der Operndebütantin Mateja Koležnik den Startschuss ganz anderer Art gegeben und zwar für eine neue Art der Premiere, über die wir alle vor einem Jahr nur den Kopf geschüttelt hätten: Die digitale Aufführung verfügbar als Stream online.
Ganz die allererste digitale Opernpremiere an der bayerischen Staatsoper ist dieser Falstaff am 2. Dezember 2020 nicht. Denn Frank Castorfs Inszenierung von Braunfels Die Vögel war bereits letzten Monat übertragen worden. Jedoch saßen damals noch ganze fünfzig Gäste in der Staatsoper. Nun ist bei Falstaff im Zuschauerraum nur gähnende Leere. Manchmal fragt man sich für wen denn der ganze Aufwand gemacht wird, wenn niemand im Opernhaus sitzt. Und dann erinnert man sich daran, dass der Stream, den man sich gerade anschaut, kein Nebenprodukt, sondern die eigentliche Aufführung ist.
Die Digitalisierung der Oper
Doch die Staatsoper versucht das Beste aus der Situation herauszuholen. Zum Beispiel gab es während der Aufführung parallel einen Livechat, in dem jedoch – zugegebenermaßen – nicht viel Interessantes geschrieben wurde: Die Staatsoper verwies auf ihren Onlineshop und Zuschauer beschütteten die Sänger:innen mit Beifall und Rosen in Form von Emojis. Herausragend dabei waren Wolfgang Koch, der die Titelpartie durch und durch souverän und glaubwürdig verkörperte, und Aylin Perez, welche Alice Ford spielte und eine Stimme mit durchschlagendem Impetus hat.
Der Chat bewunderte ebenfalls sehr die Kostüme, für die Ana Savić-Gecan verantwortlich war. Mateja Koležnik versetzt Falstaff in die 60er oder 70er Jahre: Große Sonnenbrillen, gemusterte Hemden, Pelzkragen und Lederjacketts sind ebenso essenzieller Bestandteil des Looks wie Föhnfrisuren bei den Frauen und viel zu viel Pomade bei den Männern. Dieser Falstaff spielt im Milieu der Neureichen dieser Zeit. Die Langeweile vertreiben sich diese mit Affären, beim Glücksspiel und bei Einkäufen mit wenig Geschmack und zu viel Geld.
Inszenierte Leere
Die Inszenierung ist schlüssig und macht Spaß, auch wenn der Look manchmal etwas abgeschmackt daherkommt. Gelegentlich kommt die Frage auf, ob das einfach die Geschmacklosigkeit der Figuren widerspiegelt oder ob das an der Inszenierung liegt. Jedoch besteht darin auch ein Teil des Witzes der Inszenierung, von dem diese so einiges hat. Koležnik kommt eigentlich aus dem Theater. Sie inszenierte mit diesem Falstaff ihre erste Oper und es gelingt ihr gut, zusammen mit dem Dirigenten Michele Mariotti, das richtige Tempo für die Komödie zu finden. (Mehr darüber kann man in der Gesprächsrunde mit Intendant Nikolaus Bachler erfahren.)
Doch am Ende der Inszenierung gibt es einen Bruch. Ausgerechnet der berühmte Schluss des Falstaff – „Tutto nel mundo è burla“ (!) – findet nicht auf der Bühne statt. Plötzlich erscheint auf der Bühne einen Bildschirm. Wie bei einer Videokonferenz – ein Medium, das wir inzwischen wohl gewohnt sind – sieht man die einzelnen Sänger:innen ihren Part singen. Das Licht geht langsam auf der Bühne an und neben den Bildschirm treten die Beteiligten in Chirurgie-Masken. Als plötzlich, während die Musik noch spielt, auch noch Dirigent Michele Mariotti auftritt schwenkt die Kamera auf das Orchester, das gar nicht mehr spielt. Wir hören also eine vorproduzierte Aufnahme ohne es gemerkt zu haben. Vom Orchestergraben schwenkt die Kamera auf den leeren Zuschauerraum. Und schlagartig wird uns klar, was es bedeutet, wenn das Medium online Stream nicht mehr nur Nebenprodukt, sondern die eigentliche Aufführung ist. Uns wird klar, dass Oper nur mit einem Publikum stattfinden kann – und das am besten live.
Den Livestream als Video on Demand gibt es ab dem 5.12. auf der Website der Bayerischen Staatsoper. Ein Ticket hierfür kostet 14,90€. Wer aber warten will bis es wieder live weiter geht, muss sich wohl oder übel bis zum Mai 2021 gedulden. Tickets für diese kann man aber bereits anfragen. Beide Arten von Tickets kann man hier erwerben.