Eine Anleitung zum Lügen
Erasmus-Enthusiast in vier Schritten
“Soll ich dir von meinem Auslandssemester erzählen?” – Nein Danke!
Zu oft werden dir diese fabelhaften Erzählungen von fernen Länder im Alltag unangekündigt in die Quere kommen. Die meisten Erzähler können sich dabei einfach nicht vorstellen, dass du kein Interesse daran haben könntest, wie sie während ihres Auslandssemesters fast an einer Reise-Überdosis gestorben sind. Mein Freund, du bist in das Fangnetz des “Erasmus-Enthusiasmus” gefallen. Dieser Artikel präsentiert dir einen Fluchtweg: Wie du mit deiner eigenen Auslandssemester-Anekdote deine Gesprächspartner bezaubern kannst; in vier einfachen Schritten.
Die Leute sollten mehr lügen. Der einzige Grund warum die Leute nicht noch mehr lügen ist, dass sie es nie richtig gelernt haben. Moralisches Handeln wäre auch ein treffender Grund dafür, den wir jetzt zum Zwecke der Unterhaltung und der Freude an das Geschichten-Erzählen vorübergehend zur Seite legen. Sei nicht billig und klau nicht die Geschichten, die du von jemand anderem gehört hast! Pass genau auf, wie solche Menschen ihre Geschichten erzählen. Deine eigene Erfahrungen, selbst wenn du sie nicht erlebt hast, muss du dir zumindest selber ausgedacht haben. Gute Lügen sind ausführlich recherchierte Lügen.
Erster Schritt: Recherche
Zuerst solltest du dir einen Land aussuchen. Wenn du nicht sicher weißt, in welchen Ländern dein Gesprächspartner schon mal im Urlaub war, und du unangenehme Missverständnisse vermeiden willst, such dir am besten ein abgelegenes Land! Dabei ist es unwichtig, ob Tuvalu nicht mal eine Universität hat, die meisten wissen nicht mal das es dieses Land gibt. Fun Fact: Tuvalu hat tatsächlich eine Uni – the University of the South Pacific. Ihre Fakultäten ist auf 12 verschiedene Länder aufgeteilt, und bietet die Studiengänge Journalismus, Tourismus, Landwirtschaft, Umweltschutz, Informatik, Wirtschaft und Sozialwissenschaft. Aber recherchiert gerne mehr über dieses Land, mehr kann ich dazu nicht sagen. Als nächstes kannst du dir dein land auf Google StreetView anschauen, und ein Gefühl kriegen, wie die Straßen aussehen, welche Geschäfte man finden kann… So gesehen machst du quasi einen Urlaub bei Google Maps.
Zweiter Schritt: Form
Wie man jemanden mit einer guten Geschichte langweilen kann:
Wie lang du redest ist essenziell. Du darfst nicht weniger als eine gute dreiviertel Stunde ununterbrochen reden. Wenn jemand versucht das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, dann lenkst du es wieder zu deinem Auslandssemester. So kannst du sie wenigstens mit der Länge deiner Erzählung beeindrucken. Hab dabei keine Angst, dich zu wiederholen. Oft gehörte Ausdrücke in diesem Kontext sind zum Beispiel: “Ich, ich, ich, ich, ich, ich, ich, ich bin, ich hab, ich, ich, ich, ich, ich” oder ” Sehr schön, so schön, so und so schön, zu schön, schon schön, schon nice, sehr nice, nice nice”. Um genau diese Inhaltslosigkeit zu vermeiden solltest du bei den unten stehenden Punkten besonders aufpassen.
Dritter Schritt: Inhalt
Wie du aus Langeweile eine gute Geschichte weben kannst:
Ankunft
An dieser Stelle solltest du klingen, als wärst du nicht der x-te Student der schon dort war. Falsche Demut ist out. Du solltest wie Marco Polo klingen, als er seiner Ankunft an dem Hof von Kublai Khan in Xanadu beschreibt. Davon, dass es an der selben Ecke einen McDonalds gab, sagst du lieber nichts.
Wann sollte man dorthin gehen?
Saisonaler Tourismus. Schon mal den Begriff gehört? Nicht? Das liegt daran das ich ihn mir gerade ausgedacht habe. So einfach geht das. Hinter diesem Konzept steckt teilweise die Wahrheit. Als zukünftiger Reise-Bullshitter solltest du wissen: Ein Land im Sommer oder im Winter zu besuchen, das macht einen sehr großes Unterschied. Denk daran, du weißt wie man sich aus jedem Moment das Meiste holen kann. Übliche Aussagen dafür wären: “Oh my, im Herbst ist es am schönsten.”,”Nein, nein. Im Sommer gibt es eine Touristen-Überflut, und du bekommst einfach kein Gefühl dafür, wie der Alltag wirklich aussieht.”
Was du über das Land wissen solltest
Die höchste Vulgarität ist es, die lokale Politik nicht zu kennen. Wenn du dir einen exotischen Land ausgesucht hast, umso besser. Dann kann dir nämlich niemand widersprechen. Merke dir ein paar Namen von Politikern, ein paar Daten; Informiere dich über die letzten Konflikte, oder die politische Bewegung, die gerade entstanden ist. An dieser Stelle solltest du den Klaus Kinski in dir entfesseln. Bestreue deine Rede mit Schimpfwörter für das bisschen Extra-Emphase.
Essen
Du kennst natürlich alle versteckte Kneipen mit Namen. “Und hast du das schon mal gegessen?” Ja, hast du. Es war ein bisschen teuer, aber das ist schon ok, weil du vor der Abreise ein bisschen Geld gespart hattest. “Und das? hast du das probiert?” Ja, hast du. Das hast du in einem kleinen Dorf gegessen, dass du außerhalb der Stadt entdeckt hast, als du dich mal komplett verlaufen hast. Dort gab es ein Kloster und ein kleines, lokales Gasthaus. Du hast nichts verstanden, wovon sie geredet haben, und dir wurde ein nicht identifizierbares Gericht serviert. Du hast noch nie so ein gutes Essen gegessen, so nette Leute kennengelernt, und so ein schönen Himmel gesehen.
Vierter Schritt: Fazit
Oder: “Sind wir endlich da?”
Deine Erzählung beendest du am Besten mit “Manchmal (Pause), wenn ich mich an diese Zeit erinnere, (Pause) frag ich mich (Pause in der du nachdenklich in die Leere schaust): war das alles nur ein Traum?”. Wenn du melancholisch seufzen willst, dann ist hier der richtige Moment.
Das große Finale
Die Aussage “Realität übertrifft Fiktion” trifft nicht immer zu. Inwiefern muss die erzählte Welt wahr sein? Mit ein bisschen Kreativität können wir zumindest die Realität übertreffen, die wir schon tausendmal erzählt bekommen haben. Umberto Eco sagte: “Die Macht der Sprache besteht nicht darin zu beschreiben was da ist, sondern zu behaupten was nicht da ist”. Das wollen wir folgendermaßen interpretieren: Die Linie zwischen Lüge und fiktiver Erzählung ist verschwommen – das Letztere klingt unschuldiger – und du kannst es eben ausnutzten, um ein stagnierendes Gespräch wiederzubeleben.