Ingeborg-Bachmann-Preis für Valeria Gordeev
Er, sie, es putzt: Über Wollmäuse und Schleimbatzen
Der Ingeborg-Bachmann-Preis geht 2023 an Valeria Gordeev und ihren Text „Er putzt“. Darin geht es um einen Mann, der es mit der Sauberkeit sehr genau nimmt, aber auch um mehr als das. Vor allem aber lässt sich aus dem Gewinnerbeitrag der ein oder andere Putzhack mitnehmen.
„ER PUTZT“ – diese zwei Wörter bilden nicht nur den Titel und den ersten Satz des Textes, sondern sie beschreiben dessen Grundessenz nahezu erschöpfend. Valeria Gordeev schreibt über einen Mann, der die Wohnung seiner Mutter sauber macht. Und das keineswegs nebenbei, er zelebriert es regelrecht und geht dabei höchst penibel vor.
An den Dreck, fertig, los!
Als erster Gedanke kommt, dass sich die Küche in einem fürchterlichen Zustand befinden muss und all seine Putzmaßnahmen gerechtfertigt sind. Immerhin spricht er von einer Sauerei, Schleimbatzen, Haarknäuel und findet sogar eine „getrocknete, verschrumpelte Bananenschale, die er (…) für einen Handschuh“ (S. 6f. aus Er putzt) hält. Ausgerüstet mit Spezialreiniger nimmt der Protagonist den Kampf gegen den Schmutz auf sich. Mit sehr präziser und raffinierter Sprache beschreibt Valeria Gordeev das Geschehen und geht dabei nicht wenig unterhaltsam vor. Die Putzbegeisterung des Protagonisten zeichnet sich deutlich ab, er scheint dafür zu brennen.
Doch allmählich kommen die Leser:innen dahinter, dass irgendetwas faul ist. So wird die ganze Küche samt Ablaufschlitzen und Siphon geschrubbt und das gerade mal als „das Nötigste“ bezeichnet. Und Schluss ist spätestens bei der Fernbedienung, die der Sohn mit Interdentalbürsten und Isopropanol reinigt. Er entpuppt sich als Mann mit Putzneurose.
Putzhacks gibt es inklusive
Eins bewirkt der Text bei den Leser:innen allemal: Sie hinterfragen den Sauberkeitszustand der eigenen Wohnung. Ist es mal wieder an der Zeit, Wollmäuse zu jagen? Ist der WG-Putzdienst schon längst überfällig? Es lassen sich einige Putzhacks herausfiltern, die bei der nächsten Reinigungsaktion vorteilhaft sein könnten. Der Text erinnert an bestimmte Ecken in der Wohnung, die im Allgemeinen eher spärlich in die Putzroutine mit aufgenommen werden. Zum Beispiel an den Kühlschrank, der mal wieder abgetaut und ausgewischt werden könnte oder an das Sieb des Geschirrspülers, dessen Sauberkeit vor einer zukünftigen Verstopfung wahren kann. Und nicht zu vergessen den scheinbar absoluten Endgegner des Protagonisten: der Platz zwischen Herd und Geschirrspüler.
Um diese weniger beliebten Stellen sauber zu bekommen, legt der Protagonist ein paar beeindruckende Hacks an den Tag:
- Geknickte Wattestäbchen einigen sich beispielsweise als praktisches Tool für schmale Spalten oder Rillen.
- Kalkflecken sind leicht mit Essigreiniger zu besiegen.
- Die absolute Allzweckwaffe bleibt dann aber doch die gute alte Scheuermilch, die vor allem bei Oberflächen aus Edelstahl wie Wasserhahn und Abtropffläche, das Mittel der Wahl ist.
- Tipp fürs Bad: Die verkalkte Duschbrause in Zitronensäure einwirken lassen und sie ist wieder wie neu.
Krisenmanagement und Care-Arbeit
„Er putzt“ ist vielschichtig und lässt darüber hinaus verschiedene Themen durchschimmern. So rückt zum Beispiel auf den ersten Blick die Care-Arbeit von Männern ins Bewusstsein. Der Protagonist putzt nämlich nicht nur in der Wohnung seiner Mutter, sondern er sorgt sich auch um das Wohlergehen der Schwester. Gleichzeitig scheint es beim Saubermachen nicht nur um eine Tätigkeit gegen Schmutz gehen. Vielmehr versucht er gegen die Krisen der Welt anzukommen, den beunruhigenden Aspekten des Lebens nicht ins Gesicht zu blicken – anders als seine Schwester, die zwischenzeitlich die amerikanische Serie Emergency Room schaut.
Valeria Gordeevs Text bewegt und bringt das Thema Putzen wieder einmal auf den Tisch. Deshalb kann sicherlich die ein oder andere Person dazu gebracht werden, mal wieder ein Staubtuch in die Hand zu nehmen. In diesem Sinne: Frohes Wischen!