Nacktheit zuhause
Einfach mal blankziehen
Bequeme Kleidung ist aktuell wichtiger denn je. Dabei ist die Jogginghose oft die erste Wahl. Aber noch viel einfacher wäre es doch, einfach gar nichts anzuziehen. M94.5 Reporterin Livia Beck hat genau das mal ausprobiert. 24 Stunden nackt – ein Selbstversuch.
Eigentlich wollten wir das Experiment ja schon am Abend beginnen. Dabei sind wir beide aber schon mal auf das erste Problem gestoßen sind: Nackt schlafen.
Ich persönlich finde das eigentlich ganz angenehm und befreiend, mein Freund findet es kalt, ungemütlich und fühlt sich irgendwie schutzlos.
Naja, dann fangen wir halt doch erst in der Früh an. Wir haben uns eigentlich einen gewissen Zeitgewinn erhofft, weil das Anziehen an sich ja weg fällt. Stattdessen lümmeln wir erstmal auf dem Sofa rum. Von Arbeitsmodus keine Spur. Beim gemeinsamen Frühstücken wird uns zum ersten Mal bewusst, wie absurd die Situation ist: Wir löffeln da beide splitterfasernackt unser Müsli und reiben grinsend unsere blanken Hintern auf den Stühlen – also hygienisch ist was anderes.
Unter Beobachtung
Ich fühle mich zunehmend beobachtet. Zum Teil wegen der fehlenden Vorhänge, zum Teil tatsächlich auch von meinem Freund. Der hat mich ja eigentlich schon hunderte Male nackt gesehen.
Aber trotzdem: Während er mir feixende Blicke zuwirft, werde ich zunehmend unsicher. Mein Bauch macht eine unliebsame Falte, wenn ich mich hinsetze und ich bin immer wieder darauf fixiert, wie ich wohl gerade nackt aussehe.
Eigentlich würde ich mich als halbwegs selbstsicheren Menschen einstufen, aber diese permanente Konfrontation mit dem eigenen Körper scheint mich dermaßen abzulenken, dass ich mir irgendwann einfach ein Kissen auf den Schoß lege, fürs Home-Office am Computer.
Paartherapeutin Heike Melzer wundert das nicht wirklich. Oft kann Nacktsein nämlich dazu führen, dass sich das Gegenüber belästigt fühlt und der Blick in den Spiegel zu Unzufriedenheit führt. Das zeigt auch unsere Erfahrung.
Als ein kleiner Streit zwischen mir und meinem Freund ausbricht, löst sich dieser aber wieder innerhalb von Minuten auf. Wir stellen beide fest, dass wir einander offensichtlich verwundbarer gegenüberstehen und vielleicht auch empfindlicher sind als sonst – nackt zu streiten ist aber wiederum extrem lustig und hilft uns tatsächlich etwas ehrlicher zu sagen, wie es einem geht.
Heike Melzer erklärt, dass es durch das Experiment schneller zu ungewohnten Situationen kommt. Nackt streiten und Themen ansprechen, die bislang eher weg geschoben wurden, kann Paar daher weiterbringen. Solch eine Abwechslung im Sexualleben kann die Beziehung in Zeiten von Corona also wirklich erfrischen.
Nackt ist nicht gleich Sex
Nach einem riesigen Abendessen ist an unserer Nacktheit auch nichts Sexuelles mehr, sondern wird einfach nur Normalität. Irgendwie finde ich das auch schade – sich voreinander auszuziehen sollte für mich etwas Besonderes sein, ein Zeichen von Vertrauen oder Lust.
Auf meine Enttäuschung darüber reagierte mein Freund allerdings mit dem Satz:
Sex oder Lust ist doch am Ende eine Frage der Stimmung miteinander, und nicht vom Anblick nackter Haut abhängig.
Und auch Heike Melzer sieht das ähnlich:
„Wenn wir aus der Situation ein Kopfkino machen, dann ist es auch egal, ob wir nackt sind.“
Paartherapeutin Heike Melzer
Was also vielleicht im ersten Moment nach einer Gelegenheit für ein endloses Sex-Gelage klingt, kann im echten Leben, mit Home-Office, Kochen und Sport auch ganz schön anstrengend sein.
Trotzdem zeigt das Experiment, wie schwer es manchmal ist, sich Dinge abzugewöhnen. Genau das kann aber in einer Beziehung durchaus hilfreich sein. Wem dieses Experiment aber dann doch zu speziell ist, für den hat die Expertin noch andere Tipps. Gemeinsam ein Buch lesen oder der Verzicht auf das Handy können Paaren auch dazu verhelfen, sich mehr aufeinander zu konzentrieren. Und wenn es doch mal zum Streit kommt: Einfach mal nackt ausziehen und sehen was passiert.