Gebärdensprache im Wandel

Eine Geste, die mehr sagt als tausend Worte

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Angela Merkel ist der Pagenschnitt, Barack Obama die hochgekrempelten Ärmel. Politiker:innen haben oft ihre eigenes Handzeichen in der Gebärdensprache. Und mit Beginn des Wahlkampfes sollen jetzt auch die Kanzlerkandidat:innen ihres erhalten. Doch wie entstehen solche Gebärden überhaupt? Und wer legt sie fest?

Brot ist nicht gleich Brot

Die Deutsche Gebärdensprache ist erst seit 2002 rechtlich anerkannt und immer noch nicht landesweit standardisiert. Es gibt regionale Dialekte, die es fast unmöglich machen, dass  Hamburger:innen, die in Bayern nach einem Brot fragen, auch ein Brot bekommen. Eine eigene Grammatik existiert, die wird aber in der Realität oft mit der Grammatik der gesprochenen Sprache vermischt. Außerdem gibt es Unterschiede in der Sprechweise von Menschen, die gehörlos geboren worden sind und von denen, die im Laufe ihres Lebens ihr Gehör verloren haben. All das führt dazu, dass eine offizielle Festlegung von allgemeinen Begriffen ein schwieriges Unterfangen ist.

Gebärdenneuschöpfung

Eine Möglichkeit ist die Übernahme von Gebärden, die Gebärdensprachdolmetscher:innen bei ihren Übersetzungen verwenden. Das passiert vor allem bei Wortneuschöpfungen und Fremdbegriffen, die spontan übersetzt werden müssen. Ist noch keine Gebärde für einen Begriff vorhanden, müssen die Dolmetscher:innen auf das Buchstabieren mit dem Fingeralphabet zurückgreifen, oder eben entsprechende Gebärden zur Umschreibung verwenden. Dank der öffentlichen Position der Dolmetscher:innen verbreitet sich diese Version der Gebärde häufig sehr schnell und sehr weit. Aber die Gebärdensprache gehört schlussendlich der Gehörlosen-Community, und so entstehen neue Gebärden meistens organisch in der Community, wo sie sich auch verbreiten und dann offiziell aufgenommen werden.

Grübchen oder Trampolin?

Oft beziehen sich die neuen Gebärden auf bereits vorhandene Wörter, auf visuelle Merkmale oder Gleichklänge. Ein Beispiel ist die Gebärde für Hartz IV, ein Pochen auf das Herz und die Zahl Vier. Es kommt auch vor, dass Gebärden geändert werden. Angela Merkel zum Beispiel wird inzwischen mit dem Zeichen für den Pagenschnitt gebärdet, nachdem das explizite Hinweisen auf ihre Mundwinkel für geschmacklos befunden wurde. Hier zeigt sich eine Herausforderung, die auch bei der Suche nach Gebärden für die Kanzlerkandidat:innen aufkommt. Sie muss bezeichnend sein, ohne zu werten oder zu beleidigen.

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Eine Erklärung zur Erarbeitung der Gebärde für Annalena Baerbock von einem Zusammenschluss aus Aktivist:innen, Dolmetscher:innen und Dozent:innen

So hat es Kritik an dem Vorschlag gegeben, Annalena Baerbock durch das Mimen ihrer markanten Grübchen darzustellen. Diese Reduzierung auf äußere Merkmale wirkt in diesem Fall wie eine Verniedlichung. Beliebter ist das Zusammenführen der Gebärden für “Bär” und “Bock”, eine Darstellung ihres Nachnamens. Am stärksten hat sich aber eine springende Geste am Ohr durchgesetzt. Sie umfasst sowohl Annalena Baerbocks Namen, als auch ihre Vorliebe für auffallende Ohrringe und ihre Vergangenheit als Leistungssportlerin. Doch das heißt nicht, dass äußere Merkmale sich nicht anbieten. Die Gebärde für Donald Trump ist eine Geste, die seine charakteristische Haartolle beschreibt. Olaf Scholz darf sich bisher über die Gebärde für “kurzes Haar” freuen.

Einheit in der Sprache

Immer öfter entstehen inzwischen auch Organisationen und Projekte, die versuchen, einen gewissen Grad an Standardisierung der Gebärdensprache zu erreichen. Hier geht es vor allem darum, gehörlosen Menschen das Leben zu erleichtern. Statt Desoxyribonukleinsäure buchstabieren zu müssen, können Professor:innen an Universitäten beispielsweise mit einem einfachen Handzeichen auskommen.